Bist Du Jäger, oder lieber Sammler? Persönliches Resümee und Orientierungshilfe im (Legal) Tech Dschungel

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Ein Beitrag von Stefan Wochinz

5, 50, nein sogar 500 Milliarden sollen in den nächsten Jahren für die Weiterentwicklung künstlicher Intelligenz (KI) in den USA investiert werden. Europa wirft ebenso Milliardenbeträge in den KI-Ring, um hier ein mögliches Ungleichgewicht zu verhindern.

Bei all diesen Beträgen, und auch der Geschwindigkeit, in der sich das KI-Karussell zu drehen scheint, wird dem Juristen als Beobachter schon richtig schwummrig, denn auch im Rechtsbereich hält Legal Tech und insbesondere KI mit großen Schritten Einzug, und werden Hoffnungen, gleichzeitig aber auch Ängste, geschürt. Jeder möchte hier irgendwie mitmachen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Gleichzeitig herrscht gefühlt oftmals Überforderung, bei Legal Tech nur ja nicht das Falsche zu machen.

Doch erst einmal alles mit der Ruhe. Denn wenn ich meine eigene berufliche Laufbahn als Jurist über die vergangenen mehr als 20 Jahre Revue passieren lasse, so war schon diese von Anfang an durch technologische Veränderung und Weiterentwicklung geprägt. Zwar dauerte es tatsächlich Jahre – Österreich war und ist hier im übrigen immer noch Vorreiter – bis Schriftsätze und sonstige juristische Dokumente im elektronischen Rechtsverkehr, damit völlig papierlos, an beliebige Gerichte und sonstige Behörden übermittelt werden konnten.

Der Personal Computer (PC) mit verbundenem Modem, zu Beginn ein manchmal sogar unter Kollegen geteilter Einrichtungsgegenstand bei Gerichten oder in großen Anwaltskanzleien, wurde über die Jahre durch sehr leicht verstaubare tragbare Computer, in letzter Zeit dann auch durch hauchdünne Tablets, als Werkzeug ersetzt, und mir ist heutzutage kein einziger Jurist mehr bekannt, der nicht über sein eigenes Gerät, oder vielmehr seine eigenen Geräte, verfügt.

Das Arbeiten von beliebigen Orten auf dieser Welt, die digitalen Akten und Unterlagen immer parat, sowie hocheffiziente Recherchen in (Rechts-)datenbanken sowie Kommunikation in Echtzeit, sind zum Standard in der Juristenwelt geworden. Vergleicht man die Arbeitsweise eines Juristen zu Beginn meiner Berufslaufbahn mit den heute zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten im Rechtsbereich, so hat sich die Welt tatsächlich unglaublich positiv weiterentwickelt.

Eines wird bei all den technischen Verbesserungen jedoch oftmals vergessen, wenn nicht sogar bewusst ausgeblendet: für das Einholen der „Ernte“, damit die Ergebnisse unserer täglichen Arbeit, sind immer noch wir selbst verantwortlich. Keine der uns zur Verfügung stehenden Geräte, Softwaretools, Datenbanken und Kommunikationsplattformen im Legal-Tech Bereich kann und wird uns die Verantwortung für das korrekte juristische Arbeiten von den Schultern nehmen.

Egal, ob wir uns persönlich als proaktiver „Jäger“ neuer noch nie dagewesener, oder eher als „Sammler“ bereits bewährter Lösungen in Legal-Tech sehen, es liegt an uns selbst zu entscheiden, welches der zur Verfügung stehenden Werkzeuge unseren Bedürfnissen entspricht, und damit uns, unseren Arbeitgebern, Kunden und Mandanten einen Mehrwert verschafft.

Was bedeutet dies nun für uns persönlich? In Wirklichkeit fahren all wir Juristen, egal in welcher Branche wir tätig sind, schon seit langem im „Legal-Tech Zug“. Wir nutzen vorhandene technische Möglichkeiten, um uns die Arbeit zu erleichtern, oder diese weiter zu professionalisieren. Aber eines ist eigentlich noch viel wesentlicher: der „Legal-Tech Zug“ den wir benutzen, steht all unseren Kollegen, aber auch Konkurrenten und Verfahrensgegnern, gleichwertig zur Verfügung. Wir verfügen damit über gleichwertige Werkzeuge.

Nun, vielleicht kann hier der „Jäger“ den einen oder anderen wichtigen zusätzlichen Schritt gegenüber einem „Sammler“ machen, um noch effizienter oder professioneller zu arbeiten. Aber letztlich können wir eigentlich beruhigt feststellen, dass es weiterhin wir selbst sind, die mit ihrem Einsatz und dem Willen Besonderes zu tun, den Unterschied machen, und, wenn man konsequent darüber nachdenkt, auch bei den derzeitigen Möglichkeiten der KI & Co. für das Einholen der „Ernte“ weiterhin verantwortlich sind.

Ich denke, mit diesem Mindset ausgestattet, können selbst Neulinge im Legal-Tech Bereich beruhigt und besonnen erste wichtige Schritte setzen: meiner Erfahrung nach gelten hier dieselben Regeln, wie für uns als durchschnittliche Konsumenten. Es gilt den Dschungel an Legal-Tech Angebot zu durchforsten, und sich auf jene Aspekte und Lösungen zu konzentrierten, die unabhängig von der täglichen Werbeflut für die eigenen Bedürfnisse am praktischsten erscheinen.

Gerne fasse ich dazu meine Top-5 Gedanken zusammen:

  • Legal-Tech ist tatsächlich eine Chance, Dinge effizienter und auch professioneller zu tun. Nütze sie!
  • Anstatt zu warten und zu grübeln, fang am besten mit einer ersten „kleinen“ Legal-Tech Lösung an. Bewährt sich diese, nimm den nächsten Schritt!
  • One size does not fit all: es gibt keine Legal-Tech Lösung, die allen Bedürfnissen gerecht wird. Suche Dir diejenige aus, welche am besten zu Dir und Deinem Aufgabengebiet passt.
  • Die derzeitigen und auch zukünftigen Möglichkeiten im Legal-Tech Bereich werden die juristischen Berufsbilder beeinflussen und verändern. Sei Teil der Veränderung und nimm die Gelegenheit wahr, sie proaktiv mitzugestalten!
  • Legal-Tech ist ein Marathon und kein Sprint. Sei mutig und lass Dich auch durch kleine Niederlagen nicht davon abhalten, den Weg in Richtung Digitalisierung weiter zu gehen!

Der Rest ist Teamarbeit. Denn egal in welcher Funktion wir als Juristen tätig sind, wir sind immer Teil eines Teams, und hier gilt es, dieses für die Implementierung einer Legal-Tech Lösung zu motivieren, indem wir deren Mehrwert für alle Beteiligten klar aufzeigen.

In diesem Sinne möchte ich vor allem die im Legal-Tech Bereich bisher zurückhaltenden Leser dazu motivieren, klein zu beginnen, um vielleicht Großes zu bewirken – hierfür wünsche ich viel Erfolg!


Über den Autor: 

Stefan Wochinz ist Senior Legal Counsel und Compliance Officer bei der Vaillant Group Austria GmbH, und dort für die Bereiche Legal, Compliance und Versicherungen verantwortlich.

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