Bon Voyage: RHI Magnesita auf Legal Tech Reisen
mit Alexander Grunicke | Global Legal Process Owner
Magazin: Legal Tech Times 2022, Ausgabe Sommerspecial
1. Juli 2022
Im Gespräch: Für unser Sommer-Special haben wir mit Vertreter:innen aus 8 Unternehmen über ihre Legal Tech Projekte gesprochen und sie nach den ungeschönten Erfahrungen mit ihren Legal Tech Projekten gefragt. RHI Magnesita ist eines dieser Unternehmen. Wir luden dessen Verantwortlichen Alexander Grunicke, Global Legal Process Owner zum Interview ein.
Alexander Grunicke (rechts) hier zu sehen mit seinem Kollegen Leonardo Costa.
Herr Grunicke, wie entscheidet man, wo Digitalisierung ansetzen soll? – In welchem Bereich, an welchem Punkt, um welchen Nutzen zu erzielen?
Unserer Erfahrung nach gibt es dafür verschiedene Ansatzpunkte. Erstens sind das standardisierbare, einfache und repetitive Abläufe in einem Unternehmen, die man vereinfachen und standardisieren kann, und von denen man zudem Mitarbeiter:innen freispielen möchte, damit diese sich auf wertschöpfende Aufgaben konzentrieren können. Zweitens betrifft das Prozesse, bei denen regelmäßig eine große Zahl von (verknüpften) Daten verarbeitet werden und wo ein System benötigt wird, das auf Knopfdruck den aktuellen Stand oder Reports ausgibt (z.B. Shareholding Management System). Drittens kann dies komplexere Aufgaben betreffen, wie z.B. die schnelle Analyse und Auswertung von Verträgen nach vordefinierten Kriterien. Das Ziel sollte nicht nur eine Effizienzsteigerung im Sinne einer Zeit- und Kostenersparnis für alle Beteiligten darstellen, sondern auch eine Verbesserung der Qualität und Effektivität von Prozessen im Fokus stehen.
Für ganz wesentlich halte ich, dass zuerst die Ziele und darauf aufsetzend klare Prozesse definiert werden, bevor ein Tool ausgewählt wird. Das modernste Tool nützt nichts und wird ohne User:innenakzeptanz bleiben, wenn die zu bearbeitenden Aufgaben nicht vollständig, einfach und schnell bearbeitet werden können.
Wie identifizieren Sie dafür Probleme in Ihrem Unternehmen und analysieren Sie Ihre Arbeit in der Rechtsabteilung/im Team?
Vor dem Ausrollen von NetLex standen wir als Konzern mit vielen Konzerngesellschaften und Mitarbeiter:innen aus verschiedensten Ländern vor der Herausforderung, dass es keine einheitlichen Zuständigkeiten für die Ausstellung von (Handlungs-)Vollmachten und keine standardisierten Mustertexte gab. Darüber hinaus erfordern Vollmachten bei uns auch einen Genehmigungsprozess mit mehreren Stakeholdern.
Die Ziele der Automatisierung waren erstens standardisierte und befristete Vollmachten auf Grundlage von Musterbausteinen, welche die Vollmachtsnehmer:innen ihrem Aufgabenbereich entsprechend berechtigen. Zweitens sollte eine Vereinfachung und Automatisierung des Approval Workflows erzielt und eine Übersicht und Governance über alle gültigen Vollmachten sichergestellt werden.
Zu diesem Zweck haben wir die häufigsten und wesentlichsten Powers identifiziert und formuliert. Weiters haben wir die wichtigsten Sprachen, in denen die Vollmachten benötigt werden, festgelegt. Im nächsten Schritt haben wir dann den Prozess anhand der erforderlichen Genehmigungen und Vorgaben im Konzern (u.a.4-Augen Prinzip) und unter den Gesichtspunkten der Nutzerfreundlichkeit in einzelne Schritte zerlegt und niedergeschrieben. Dabei ist zu berücksichtigen, welche Anfragen als Standard abgehandelt werden können und sollen, und für welche ein eigener Workflow (auch vom Tool umfasst) festgelegt wird. Im Laufe des Projektes kamen dann noch Fragen auf, z.B. wie Dokumente mit Papierunterschriften abgebildet werden können, die wir ebenfalls mit dem Tool abdecken.
Welche Kriterien haben Sie definiert, um ein Legal Tech Tool auszusuchen? Was waren die IT-Vorgaben bei RHI Magnesita?
Vorrangiges Kriterium ist erst einmal, dass ein Tool die von uns gestellten Anforderungen erfüllen kann. Dazu gehört, wie im Falle von NetLex, dass ein Tool an unsere Bedürfnisse und komplexen Workflows mit verschiedenen Approvern angepasst werden kann und auch in der Lage ist, diese übersichtlich abzubilden. Dazu gehört auch, dass Transparenz über jeden Schritt innerhalb des Workflows für die User:innen gewährleistet wird. Ganz wichtig ist für uns – wie schon erwähnt – auch die Nutzerfreundlichkeit. Dazu zählt z.B. Single-Sign-On (SSO), um den User:innen zusätzliche Passwörter zu ersparen oder die Möglichkeit, auch mit dem Smartphone auf das Tool zugreifen zu können.
Wir prüfen auch frühzeitig, ob und wie Schnittstellen zu bestehenden Systemen mit einem neuen Tool hergestellt bzw. wie diese in das Tool integriert werden. Im Falle von NetLex betrifft dies AdobeSign und die Anbindung an unser neues Shareholding Management Tool. Die meisten Provider bieten sogenannte APIs (Programmierschnittstellen) an. Trotzdem sollte für die technische Umsetzung und das Testen immer ausreichend Zeit einkalkuliert werden.
Unserer IT und Information Security ist neben der Integration mit bestehenden Systemen insbesondere wichtig, dass die Daten bei Cloud-basierten Lösungen auf Servern in der EU oder in der Schweiz liegen. Neben datenschutzrechtlichen Gründen sprechen auch andere regulatorische Erwägungen dafür.
Wie bereiten Sie sich nun auf die nächsten Schritte Ihres Legal Tech Projektes vor?
Wir haben kürzlich den Roll-Out abgeschlossen. Dafür haben wir uns sorgfältig vorbereitet und viel Zeit in Kommunikation investiert. Mitarbeiter:innen und User:innen können nun für verschiedene Konzerngesellschaften Vollmachten auf Grundlage vordefinierter „Powers“ in fünf Sprachen beantragen, die dann über einen automatisierten Workflow genehmigt, elektronisch unterschrieben und ausgestellt werden. Vorab haben wir dem Management und HR einen High-Level Überblick über den Prozess und das Tool gegeben. Über unsere unternehmensinterne App und E-Mail folgte dann eine Information an alle Mitarbeiter:innen, in der die Vorteile und Funktionen kurz zusammengefasst wurden. Zeitgleich mit der Kommunikation haben wir über die Legal-Intranet Seite einfach und verständlich formulierte User Guides und FAQs zur Verfügung gestellt. Anschließend haben wir allen User Gruppen Trainings zu NetLex angeboten.
In der jetzigen Phase sind wir zum einen mit der Herstellung einer Schnittstelle unseres neuen Shareholding Management Systems mit NetLex beschäftigt, und zum anderen mit der Feedback-Analyse und den daraus resultierenden punktuellen Verbesserungen des Tools. Das Feedback war überwiegend positiv. Trotzdem ist es wichtig, Verbesserungsvorschläge der User:innen immer zu prüfen und ggfs. anzunehmen. Es können jedoch nur solche Vorschläge aufgegriffen werden, die innerhalb des vorgegebenen Standardprozesses umsetzbar sind. Ein standardisierter, automatisierter Prozess kann naturgemäß nicht jede lokale Abweichung berücksichtigen, wobei mit dem Tool auch Vollmachten, die nicht von den Standardbausteinen abgedeckt sind, bearbeitet und genehmigt werden können.