„Die Spanne zwischen digitalen Vorreitern und Nachzüglern bleibt, aber die Mitte bewegt sich deutlich“

Lesezeit: 4 Minuten
mit Sophie Martinetz


Ein Interview mit Sophie Martinetz, Legal Tech-Expertin und Gründerin von Future-Law, über die Ergebnisse des aktuellen Legal Tech Barometers 2025

Frau Martinetz, was sind die überraschendsten Erkenntnisse aus dem neunten Future-Law Legal Tech Barometer?

Was mich wirklich positiv überrascht hat, ist die hohe Adoptionsrate von KI-Technologien. Fast 70 % der Befragten nutzen bereits KI-gestützte Tools, viele davon sogar für die inhaltliche juristische Arbeit. Das zeigt: Der Wandel ist nicht mehr abstrakt, er ist Realität geworden. Gleichzeitig bleibt die Spanne zwischen denen, die das Wort „Prompten“ noch nicht in ihrem Wortschatz haben, und den digitalen Vorreitern bestehen, aber die Mitte, also rund 70 %, die weder zu den Pionieren noch zu den Spätkommenden zählen, setzt schon flächendeckend digitale Tools ein und ist auch großteils damit zufrieden.

Welche KI-Anwendungen dominieren aktuell in der Rechtsbranche?

Bei den KI-Anwendungen liegen Textanalyse, Texterstellung und Zusammenfassung mit 63 % Nutzungsrate klar vorn. Auch Legal Research ist mit 57 % weit verbreitet. Interessanterweise befinden sich Anwendungen wie Vertragsprüfung und Dokumentenerstellung bei vielen Organisationen in der Planungsphase. Das deutet auf eine zweite Welle der KI-Adoption hin, die in den nächsten Jahren auf uns zukommt.

Was sind die größten Hürden bei der Implementierung von Legal Tech und KI?

Die aufwändige Implementierung bleibt mit 45 % die größte Herausforderung. Daneben spielen Cybersicherheits- und Compliance-Risiken eine große Rolle, ebenso wie die Organisation von Trainings. Bei Organisationen, die noch keine KI einsetzen, sind fehlendes Know-how und Budget die Hauptgründe. Was oft unterschätzt wird: Change-Management-Probleme und der Widerstand gegen Veränderungen – sowohl auf Mitarbeiter- als auch auf Führungsebene – bremsen viele Initiativen aus.

Welche Kompetenzen brauchen Juristinnen und Juristen im KI-Zeitalter?

Unsere Umfrage zeigt hier ein klares Bild: Die kritische Bewertung von KI-Ergebnissen steht mit über 70 % an erster Stelle. Direkt danach folgen Prompting-Kenntnisse mit fast 63 % – also die Fähigkeit, Anfragen an KI-Systeme so zu formulieren, dass man brauchbare Ergebnisse erhält. Interessanterweise wird auch die Begeisterungsfähigkeit für neue technische Entwicklungen als wichtiger eingestuft als spezifischere Kompetenzen wie Datenanalyse oder Legal Design.

Nur rund 30 % haben bisher Prompting-Trainings durchgeführt. Ist das nicht ein Widerspruch?

Absolut! Hier klafft eine große Lücke zwischen Erkenntnis und Handeln. Die Bedeutung von Prompting-Kenntnissen wird erkannt, aber viele Organisationen investieren noch nicht systematisch in entsprechende Trainings. Das ist einer der Punkte, an denen der Fortschritt noch gehemmt wird. Und genau hier müssen wir ansetzen: Culture eats strategy for breakfast – die Unternehmenskultur in Rechtsabteilungen und Kanzleien bleibt entscheidend.

Wie steht es um die finanziellen Investitionen in Legal Tech?

Die Zahlen sind ernüchternd: Legal-Tech- und KI-Lösungen machen durchschnittlich nur drei % der Gesamtkosten aus. Ein Drittel der Befragten hat überhaupt kein dediziertes Budget für Legal Tech. Solange kein relevantes Budget organisatorisch verankert ist, bleibt der Fortschritt schleppend und Anlass bezogen. Das steht im Widerspruch zur strategischen Bedeutung, die man der Digitalisierung zuschreibt.

Wie sehen Sie die Zukunft der Rechtsbranche in den nächsten drei Jahren?

Die Branche erwartet tiefgreifende Veränderungen: 85 % glauben, dass KI zu qualitativ hochwertigerer Arbeit für Klienten führen wird. Zwei Drittel erwarten einen grundlegenden Wandel des Anwaltsberufs. Bei der Frage nach dem Wegfall von Jobs sind die Meinungen geteilt, aber die meisten rechnen mit einem unkomplizierteren Ablauf für Kunden. Klar ist: Der technologische Fortschritt allein reicht nicht. Es braucht eine Kultur der Offenheit, der Lernbereitschaft und der Neugier.

Was raten Sie Organisationen, die beim Thema Legal Tech und KI noch zögern?

Der richtige Moment ist JETZT – es geht darum, einfach mal zu starten. Viele Tools sind niederschwellig nutzbar und liefern echten Mehrwert. Man muss kein IT-Experte sein, um loszulegen. Wer klein beginnt, sammelt schnell Erfahrung, erkennt Potenziale und baut intern Vertrauen in neue Technologien auf. Warten auf das perfekte Setup, das ideale Tool oder den letzten Business Case bremst Innovation. Der Nutzen liegt auf der Hand: mehr Effizienz, bessere Qualität, mehr Zeit für das Wesentliche.

Zu den Ergebnissen des Legal Tech Barometers 2025


Über Sophie Martinetz: 

Sie kennt die Bedürfnisse, Chancen, Risiken und Zukunftsherausforderungen der Rechtsbranche wie keine Zweite. Dafür wurde Sie 2021 als Brutkasten-Innovator of the Year nominiert, als Women of Legal Tech 2020 ausgezeichnet und gewann im selben Jahr auch noch den European Tech Women Award. Nach einer internationalen Karriere in Berlin und London kehrte die ausgebildete Juristin mit 15 Jahren Erfahrung im internationalen Management und Expertise in Digitalisierung nach Wien zurück und gründete 2017 Future-Law.

Sophie Martinetz
Jahres Corporate Partner

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