Mythos: Jurist:innen können kein Legal Tech entwickeln 

Lesezeit: 8 Minuten
von Nina Neuhart, LL.B. | Studentin des Masterstudiums Wirtschaftsrecht, WU Wien
Magazin: Legal Tech Times 2023, Ausgabe 5


Der Begriff „Legal Tech“ war für mich lange Zeit nur ein oberflächliches Buzzword, dass der aus Studierendensicht oft verstaubt wirkenden Rechtsbranche eine digitale Note verleihen soll. Durch die Absolvierung eines Legal-Tech-Seminars an der Uni wurde mir bewusst, dass hinter dem Buzzword eine Vision liegt, die die Arbeitsabläufe in Kanzleien und Rechtsabteilungen nachhaltig verändern wird. Um den Studierenden eine Vorstellung davon zu geben, welche Arbeit in der Entwicklung von Legal-Tech-Tools steckt, wurde eine spannende Aufgabenstellung verkündet. 

Über die Buzzwords Künstliche Intelligenz und Machine Learning stößt man im Zusammenhang mit der Digitalisierung so gut wie immer, nur selten liest man von semantischen Netzwerken oder Ontologien. In seinem Beitrag verändert das Börtecin Ege, Autor des Buchs „Semantische Datenintelligenz im Einsatz“. Er beschreibt, wie semantische Künstliche Intelligenz neue Chancen für bekannte Technologien wie Machine Learning eröffnen kann und zeigt notwendige Entwicklungen auf, um den nächsten KI-Winter zu vermeiden.

Die Bedeutung der künstlichen Intelligenz für Unternehmen wächst und wächst. Doch was versteht man unter künstlicher Intelligenz wirklich? Ganz einfach ausgedrückt, verstehen wir unter künstlicher Intelligenz eine Software, die aufgrund der vorliegenden Eingaben und Daten gewisse Datenmuster selbstständig erkennen, erlernen und sich weiterentwickeln kann. Das bedeutet jedoch lange nicht, dass diese Technologie schon längst ausgereift ist. Aber auch wenn die künstliche Intelligenz noch eigene Probleme hat, die noch überwunden werden müssen, steht sie schon heute bereits auf eigenen Füßen. Dabei helfen nicht zuletzt semantische Technologien. In diesem Artikel möchten wir näher auf Einzelheiten eingehen.

Gefordert wurde die Abbildung einer rechtlichen Fragestellung in einem Legal-Tech-Tool. Mein Thema lautete „Legal Tech und Standesrecht“, was für mich durchaus eine Herausforderung war. Standesrecht gehört nicht unbedingt zu jenen Rechtsgebieten, die im Studium einen zentralen Platz einnehmen. Doch gerade deswegen freute ich mich auch auf neue Einblicke in die Branche. Wichtig war mir, dass ich das ohnehin umfassende Thema auch wirklich auf Standesrecht beschränkte, weshalb ich datenschutzrechtliche Aspekte bewusst ausklammerte. 

Mein Ziel war es, einen kompakten Leitfaden zu erstellen, der es Rechtsanwält:innen und eingeschränkt auch Unternehmen ermöglicht, ihre Legal-Tech-Anwendung standesrechtlich einzuordnen und mögliche Konsequenzen aufzuzeigen. Mittels einfacher Fragestellungen und dazugehörigen Ja-/ Nein-Antworten soll ein individuelles Ergebnis erreicht werden.  

An die Arbeit! 

Bevor es an die Entwicklung des Tools ging, startete ich mit der inhaltlichen Recherche in den gängigen Datenbanken. Als erste hilfreiche Quelle erwies sich der Beitrag „Berufsrechtliche Einschränkungen der Nutzung von Legal-Tech-Anwendungen“1 von Nöhrer und Weidinger aus der ÖJZ 2022/28, der als einer von wenigen Fachbeiträgen einen Überblick über mögliche standesrechtliche Einschränkungen bei der Verwendung von Legal Tech gibt. Darauf aufbauend konnte ich noch weitere spannende Beiträge finden, beispielsweise „Legal Tech – Der digitale Anwalt“2 von Hohenberg und Zirngast in „Zukunft der zivilrechtlichen Streitbeilegung“, herausgegeben von Fink/ Otti/ Sommer in 2022. Auch die von der ÖRAK veröffentlichten Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes (RL-BA) waren eine zentrale Hilfestellung. 

In den Untiefen des Standesrechts 

Viele der von Nöhrer/ Weidinger angeführten Inhalte werden zu Beginn meines Tools abgefragt. Der erste Aspekt ist die Treue- und Sorgfaltspflicht aus § 9 Abs 1 Rechtsanwaltsordnung (RAO). Die User:innen werden gefragt, ob sie den Output des Legal-Tech-Tools überprüfen, um so der anwaltlichen Sorgfaltspflicht nachzukommen. Thematisiert wird auch die aktive Teilnahme an der Sachverhaltsdarstellung aus der Verpflichtung als Sachverständige:r nach § 1299 ABGB. 

Der nächste Themenkomplex ist der Einsatz von Artificial Intelligence (AI), der nur abgefragt wird, wenn zuvor die Verwendung von AI bejaht wurde. Ermittelt wird wieder die Erfüllung der Sorgfaltspflicht, denn die Entscheidung der AI soll nachvollziehbar bleiben.  

Auch die Verschwiegenheitspflicht nach § 9 Abs 2 RAO spielt eine wesentliche Rolle, vor allem beim Einsatz von Mandant:innendaten als Trainingsdaten für die AI. Wenn die User:innen externe Dienstleistungen vergeben, wird die Überprüfung um diesen Themenbereich erweitert. Abgefragt wird, ob die Verschwiegenheitspflicht auch auf die in Anspruch genommenen Dritten ausgedehnt wurde. Im Zuge dessen wird darauf hingewiesen, dass eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht grundsätzlich möglich ist. 

Der Themenkomplex der Winkelschreiberei und Prozessfinanzierung wird häufig im Kontext mit...

Jahres Corporate Partner

Consent Management Platform von Real Cookie Banner