Notariat Next Level – Orientierung zwischen Siegel und Server
13. Juni 2025
Ein Beitrag von Michael Umfahrer
Die Digitalisierung hat unser tägliches Leben längst durchdrungen – von der Art, wie wir kommunizieren, über den Zugang zu Informationen bis hin zu Bankgeschäften, die wir bequem vom Smartphone aus erledigen. Auch das Notariat ist Teil dieses Wandels. Doch während viele digitale Innovationen vor allem auf Effizienzsteigerung und Automatisierung abzielen, steht im Notariat eine andere Frage im Mittelpunkt: Wie kann Technologie so eingesetzt werden, dass sie echten Mehrwert schafft, ohne den Kern notarieller Tätigkeit – die Rechtssicherheit und persönlicher Beratung – zu verwässern?
Vom Papierarchiv zum digitalen Notariat
Das österreichische Notariat hat früh erkannt, dass Digitalisierung kein Trend ist, den man einfach „mitmachen“ sollte, sondern eine tiefgreifende Transformation mit enormen Chancen und Herausforderungen. Die Wurzeln digitaler Prozesse im Notariat reichen weiter zurück, als man vielleicht annehmen würde: Bereits 1972 wurde das Zentrale Testamentsregister (ÖZTR) eingeführt – ein Meilenstein für die notarielle Dokumentation, auch wenn die vollständige Digitalisierung erst später erfolgte. In den 2000er-Jahren folgte die Einführung von cyberDOC, dem ersten elektronischen Urkundenarchiv sowie der Notartreuhandbank, die Treuhandgelder vollelektronisch verwaltet.
Ein weiterer Digitalisierungsschub kam 2020 mit der Corona-Pandemie: Plötzlich war es notwendig, Prozesse, die bisher physische Anwesenheit voraussetzte, rasch in den digitalen Raum zu übertragen. Binnen kürzester Zeit wurden beinahe alle notariellen Tätigkeiten online ermöglicht. Dabei bewährte sich die bereits bestehende digitale Infrastruktur des österreichischen Notariats, die es ermöglichte, rasch und effizient auf die neuen Herausforderungen zu reagieren.
Digitalisierung mit Augenmaß – Mehr Effizienz bei gleichbleibender Sicherheit
Die Digitalisierung ist kein kurzfristiger Trend, sondern eine sinnvolle Weiterentwicklung, die Service und Effizienz in vielen Bereichen verbessert – auch im Notariat. Doch gerade im rechtlichen Bereich erfordert der digitale Wandel ein besonderes Maß an Sorgfalt. Die Beurkundung von Verträgen, die rechtliche Beratung und die Wahrung der Interessen von Klient:innen sind Aufgaben, die ein hohes Maß an Sicherheit und Vertrauen erfordern. Daher müssen digitale Werkzeuge so eingesetzt werden, dass sie die etablierten Grundsätze des Notariats – darunter Rechtssicherheit, Vertraulichkeit und persönliche Verantwortung wahren.
Die digitale Transformation im Notariat verfolgt ein klares Ziel: Die Vorteile technologischer Innovationen sollen genutzt werden, ohne dass dabei Kompromisse bei der Rechtssicherheit oder der Qualität der Beratung eingegangen werden. Eine notarielle Beurkundung ist weit mehr als ein formaler Akt – sie soll sicherstellen, dass Entscheidungen vorausschauend und rechtssicher festgehalten werden.
Digitale Prozesse mit klaren Strukturen
Für die klientenfreundliche Umsetzung des digitalen Notariats-Termins, wurde ein strukturierter Ablauf entwickelt. Der erste Schritt besteht in der Identitätsprüfung, die den Vorgaben der Notar-E-Identifikations-Verordnung entspricht. Bestehende Prüfverfahren zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung werden genauso eingehalten wie im analogen Ablauf. Im Anschluss erfolgt die notarielle Beratung, die entweder per Telefon oder Videokonferenz durchgeführt werden kann. Sobald alle rechtlichen Fragen geklärt sind, werden die erforderlichen Dokumente erstellt.
Die digitale Beurkundung selbst findet in einer Videokonferenz mit dem Notar oder der Notarin statt, in der die qualifizierte elektronische Signatur geleistet wird. Nach der Unterzeichnung werden die Beglaubigungsklausel und die Beurkundungssignatur angebracht Anschließend kann das Dokument für unterschiedliche rechtliche Zwecke verwendet werden, beispielsweise für Eintragungen im Firmenbuch oder Grundbuch.
Möglichkeiten und Grenzen der digitalen Notariatsarbeit
Beinahe alle notariellen Dienstleistungen lassen sich online erledigen. Dazu gehören notarielle Protokolle, etwa für Gesellschafterversammlungen, Notariatsakte für bestimmte Rechtsgeschäfte sowie die Beglaubigung von Unterschriften. Im Bereich der Immobilien und der Unternehmen sind Notariate One-Stop-Shops: Immobilientransaktionen und Unternehmensgründungen können vollständig online abgewickelt werden – bis hin zur Eintragung im Grund- bzw. Firmenbuch. Ein Bereich, der analog bleibt, sind Testamente und letztwillige Verfügungen. Diese Dokumente müssen weiterhin physisch errichtet werden, um sicherzustellen, dass ohne äußere Einflüsse erstellt werden.
Beratung bleibt das Herzstück des Notariats
Trotz aller technologischen Fortschritte bleibt eines unverändert: Die zentrale Rolle des Notars oder der Notarin als vertrauensvolle Ansprechperson. Notarielle Dienstleistungen gehen weit über die reine Abwicklung von Dokumenten hinaus: Rechtliche Entscheidungen sind oftmals Lebensentscheidungen: die Errichtung einer Vorsorgevollmacht oder eines Ehevertrags genauso wie die Gründung eines Unternehmens oder der Kauf einer Immobilie. Genau deswegen erfordern sie eine individuelle Beratung, die Risiken abwägt und maßgeschneiderte Lösungen bietet.
Das österreichische Notariat setzt daher nicht auf starre, standardisierte Prozesse, sondern auf flexible Lösungen. Klient:innen haben die Wahl, ob sie ihre Unterschrift in der Kanzlei setzen oder den gesamten Vorgang digital abwickeln möchten. Diese Entscheidungsfreiheit stellt sicher, dass moderne Technologien den Menschen dienen – und nicht umgekehrt.
Herausforderungen und Zukunftsperspektiven
Die Digitalisierung ist kein abgeschlossenes Projekt, sondern ein fortlaufender Prozess. Mit der ständigen Weiterentwicklung der Technik eröffnen sich immer neue Möglichkeiten, notarielle Dienstleistungen effizienter zu gestalten. Gleichzeitig bringt dieser Wandel auch Herausforderungen mit sich: Nicht jede:r Klient:in ist mit digitalen Prozessen vertraut oder verfügt über die notwendige technische Ausstattung, um diese ohne Hürden zu nutzen. Deshalb müssen notarielle Dienstleistungen online wie im analogen auf Barrierefreiheit und den Ausgleich von Informationsasymetrien zielen, damit sie für alle zugänglich bleiben.
Ein weiteres bedeutendes Thema ist der Schutz vor Missbrauch und die Gewährleistung höchster Sicherheitsstandards. Digitale Prozesse erfordern besonders strenge Maßnahmen, um Datenschutz und Manipulationssicherheit zu garantieren. Das österreichische Notariat setzt daher auf modernste IT-Sicherheitsmaßnahmen, um die Integrität notarieller Urkunden und Verfahren zu schützen.
Trotz dieser Herausforderungen bietet die Digitalisierung große Chancen für die Zukunft des Notariats. Durch den gezielten Einsatz innovativer Technologien kann die notarielle Arbeit weiter optimiert und der Zugang zu wichtigen Dienstleistungen für eine breite Bevölkerungsschicht erleichtert werden.
Fazit: Digitalisierung als Chance – mit Verantwortung umgesetzt
Das österreichische Notariat hat sich als europäischer Vorreiter in der Digitalisierung etabliert –mit einer Strategie der Vernunft und Verantwortung. Es geht nicht darum, Prozesse um jeden Preis zu beschleunigen oder vollständig zu automatisieren, sondern vielmehr darum, moderne Technologien gezielt dort einzusetzen, wo sie einen echten Mehrwert bieten. Die Digitalisierung eröffnet zahlreiche Möglichkeiten, um Abläufe effizienter zu gestalten, die Erreichbarkeit zu verbessern und notarielle Dienstleistungen flexibler zu gestalten. Entscheidend bleibt, dass alle digitalen Lösungen den hohen rechtlichen und ethischen Standards des Notariats entsprechen.
Die Zukunft des Notariats liegt in der ausgewogenen Balance zwischen Tradition und Innovation. Rechtssicherheit, individuelle Beratung und der Schutz der Klient:innen sind keine Fragen der Technik, sondern hängen maßgeblich von den Menschen ab, die diese Dienstleistungen erbringen. Notarinnen und Notare stehen tagtäglich für diese Werte ein und sorgen dafür, dass rechtliche Entscheidungen gut überlegt und zum Besten aller Betroffenen getroffen werden. Digitalisierung muss diesen Anspruch unterstützen – aber niemals ersetzen.
Über den Autor:
Dr. Michael Umfahrer ist öffentlicher Notar in Wien (zuvor war er von 1998-2004 in Ottenschlag Notar). Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Wirtschaftsrecht, Umgründungen und Stiftungen. Seit 2019 ist Dr. Umfahrer Präsident der Österreichischen Notariatskammer, zuvor war er von 2003-2019 Präsident der Österreichischen Notariatsakademie.
Weiters war er bis zu seiner Präsidentschaft Vorsitzender des Fachausschusses für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht der Österreichischen Notariatskammer und ist er Vortragender und Autor – zu seinen Publikationen gehört das „GmbH-Handbuch für die Praxis“, das aktuell in seiner 7. Auflage erhältlich ist
