Praxisbericht zur Erstellung und Einführung eines Vertragserstellungstools

Lesezeit: 5 Minuten
von Sylvia Unger (Rechtsanwältin & Geschäftsführerin Unger Rechtsanwälte)
Magazin: Legal Tech Times 2022, Ausgabe 4


Ich beschäftige mich seit 2017 mit dem Thema „Legal Tech“ und inwiefern man Legal Tech-Tools in einer kleineren Rechtsanwaltskanzlei mit bis zu 10 Personen effizient einführen und einsetzen könnte. 2018 nahm ich erstmals an der Legal Tech Konferenz Wien teil. Seitdem bin ich auch auf der Suche nach einem passenden Vertragserstellungstool.

Neben den sonstigen, inzwischen schon „üblichen“ Tools, wie z.B. juristische Datenbanken, Rechtsanwaltssoftware, Spracherkennungssoftware, Videokonferenztools, elektronische Signatur, identifizierte ich für meine Kanzlei insbesondere den potentiell großen Nutzen eines Vertragserstellungstools, da wir sehr viele Verträge in unterschiedlichen Rechtsbereichen, wie etwa Arbeits-, Liegenschafts- und Gesellschaftsrecht erstellen, die jedoch nicht jedes Mal neu „erfunden“ werden müssen und zu denen wir bereits einen umfangreichen Fundus haben. Die übliche Vorgangsweise war und ist, eine Muster-Vorlage als Word Dokument zu erstellen und diese an den konkreten Sachverhalt anzupassen. Dies wollte ich, insbesondere im Liegenschaftsbereich, der für Standardisierungen besonders geeignet ist, effizienter gestalten.

Die Anforderungen an ein Vertragserstellungstool

Meine Wunschvorstellung ist ein Tool, in das wir ohne erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand Vertragsvorlagen selbstständig und ohne Softwareentwicklungs-Know-how einpflegen können, und dadurch Regelungsvarianten einfach auswählbar sind.

Zunächst versuchte ich es mit einem Vertragsassistenten eines Anbieters von Rechtsanwaltssoftware. Dieser enthielt zwar eine Reihe von Vorlagen, dies waren jedoch nicht die meiner Kanzlei. Die Integration kanzleiinterner Vorlagen war dadurch mit einem erheblichen zeitlichen Aufwand verbunden.

Daher machte ich mich erneut auf die Suche und wurde mithilfe des Legal Tech Hub Europe, bei dem ich seit 2020 LTHE Gold Partner bin, fündig. Es handelte sich um ein Softwareentwicklungsunternehmen (kurz: SW-Unternehmen), das sich auf Prozessautomatisierung und strukturierte Prozesse spezialisiert hatte. Der Einsatzbereich ihrer browserbasierten Software ist für Massenmandate gedacht und soll Workflows automatisieren. Dies klang gut in meinen Ohren. Ziel war eine Plattform, in der über eine Eingabemaske Daten eingegeben und auf Basis dieser Daten die dahinterliegenden Word-Dokumente befüllt, erstellt und gespeichert werden.

Zu Beginn des Jahres 2021, das ich kanzleiintern zum Jahr der Digitalisierung ausgerufen hatte, starteten wir mit diesem Projekt, nämlich der Realisierung eines Vertragserrichtungstools für Liegenschaftskaufverträge. Word-Vorlagen gab es bereits in Hülle und Fülle, die Abläufe waren bereits standardisiert definiert. Auf Ersuchen des SW-Unternehmens erstellten wir einen Leitfaden zur Abwicklung von Liegenschaftstransaktionen in Form eines Flussdiagramms, ein Excel mit Datensätzen, die notwendig sind, um Liegenschaftskaufverträge und die dazugehörigen Dokumente zu befüllen, und einen Muster-Liegenschaftskaufvertrag mit Erläuterungen und Varianten. Nach einem ersten, kurzen Workshop, in dem dies erörtert wurde, erhielt ich ein Angebot, in dem der Projektablauf (agiles Vorgehen in 5 Schritten), die Lizenzkosten für die Plattform und eine Aufwandsschätzung enthalten waren. Der geschätzte Zeitaufwand war nach meinem laienhaften Verständnis zu gering. Da ich jedoch nicht der Feind meiner eigenen Geldbörse bin, habe ich dies nicht zur Diskussion gestellt – ein Fehler!

Bei Angebotsannahme entschieden wir uns für die On Premise-Variante. Dessen Realisierung war jedoch schwieriger als erwartet, da das SW-Unternehmen dafür einen Zugriff auf den Server benötigte. Dies wollte mein EDV-Betreuer nicht, was ich verstand. Daher richteten wir für die Vertragserrichtungs-Plattform einen eigenen virtuellen Server und eine eigene Sub-Domain ein. Allenfalls wäre eine Cloud-Lösung doch klüger gewesen.

Die Umsetzung in der Praxis

Nachdem dies gelöst war, startete die inhaltliche Umsetzung. Zu diesem Zweck übermittelten wir rund 20 Muster-Vorlagen, in denen wir jene Textpassagen, die durch die individuellen Daten jeweils zu befüllen sind, kennzeichneten. Es gab einen 1. Kick off-Workshop, in dem der Zeitablauf abgestimmt wurde. Im Anschluss daran begann das SW-Unternehmen mit der Erstellung des Muster-Kaufvertrages. Circa 6 Wochen später war es möglich, Daten in die Plattform einzugeben und die Erstellung eines Kaufvertrages zu testen. In einem 2. Workshop wurden die vorhandenen Ergebnisse abgestimmt. Anschließend fassten wir die Fehler schriftlich zusammen. Da sich inzwischen herausgestellt hatte, dass der geschätzte Zeitaufwand nicht ausreichte, um alle von uns übermittelten Vorlagen umzusetzen, einigte ich mich mit dem SW-Unternehmen, dass zunächst der Muster-Kaufvertrag samt 5 weiteren Muster-Vorlagen erstellt werden. Es fanden 2 weitere Workshops statt, um die Plattform gemeinsam zu testen und allfällige Mängel zu erkennen. Kanzleiintern führten wir zusätzlich zahlreiche interne Tests durch und meldeten die Fehler ein. Schwierig waren insbesondere die Formatierung und optischen Gestaltungen. Nach ca. 9 Monaten erteilten wir die Freigabe für die bis dahin vorhandenen Vorlagen.

Ende 2021 starteten wir mit der Erstellung weiterer Vorlagen, insbesondere mit einem Muster-Kaufvertrag für Bauprojekte. Der Ablauf entsprach im Wesentlichen dem zuvor Dargestellten. Die Plattform ist inzwischen für 2 Anwendungsfälle (Kaufverträge für Eigentumswohnungen sowie für kleinere Bauprojekte ohne Inanspruchnahme des Bauträgervertragsgesetzes/BTVG) einsetzbar. Der Wunsch, dass wir kanzleiintern einfach weitere Muster-Vorlagen in die Plattform integrieren können, ist nicht realisiert. Sogar ein Rechtsanwaltsanwärter, der eine EDV-Lehre abgeschlossen hatte, stieß an seine Grenzen.

Meine Learnings aus diesem Projekt:

  • Grundsätzlich sind solche Plattformen geeignet, standardisierte Abläufe abzubilden und die Erstellung von Dokumenten zu vereinfachen und effizienter zu gestalten.
  • Vor der Entscheidung für einen bestimmten Anbieter sollte genau hinterfragt werden, wie userfreundlich die Erstellung von weiteren Vorlagen in der Plattform tatsächlich ist. Zu Beginn wird vieles versprochen.
  • Vor Erteilung des Auftrags sollte dem Anbieter ausführlich kommuniziert werden, was der konkrete Bedarf der Kanzlei ist, und es sollte hinterfragt werden, ob der Anbieter diesen tatsächlich verstanden hat.

Autoreninfo:

Rechtsanwältin Mag Sylvia Unger ist Expertin für Bankenrecht und unbaren Zahlungsverkehr, Vertragsrecht, Gesellschafts-, Unternehmens- und Wirtschaftsrecht sowie Liegenschaftsrecht und betreut mit ihrem Team Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen.

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