Verlaufen ausgeschlossen – So findest du deinen Weg im Digitalisierungsdschungel
12. Juni 2025
Ein Beitrag von Armenak Utudjian
Die Digitalisierung ist längst kein Zukunftsthema mehr, sondern bereits fester Bestandteil unserer Arbeitswelt. Doch gerade in der Rechtsbranche, die von Tradition und Präzision geprägt ist, herrscht oft Unsicherheit darüber, wie digitale Tools und Technologien sinnvoll eingesetzt werden können. Die Frage lautet nicht mehr, ob wir digitalisieren sollten, sondern wie wir dies mit echtem Mehrwert tun können. An Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte wird ein hoher Qualitätsanspruch gestellt – nicht zuletzt von den eigenen Mandantinnen und Mandanten. Legal Tech und KI können hier unterstützen und einerseits die Geschwindigkeit der eigenen Arbeit, andererseits aber auch die Qualität heben. Doch bei der Vielzahl an Tools, die am Markt verfügbar sind, fällt die Orientierung wahrlich nicht leicht.
Die besonderen Herausforderungen in einer Rechtsanwaltskanzlei
Rechtsanwaltskanzleien stehen vor einer Vielzahl an Herausforderungen, die durch die Digitalisierung noch verstärkt werden. Einerseits gibt es hohe Anforderungen an Vertraulichkeit, Datenschutz und Compliance. Andererseits kämpfen Kanzleien oft mit zeitintensiven administrativen Abläufen, die wenig Raum für die eigentliche juristische Arbeit lassen. Hinzu kommt der Druck von Mandantinnen und Mandanten, die zunehmend schnelle und transparente Lösungen erwarten.
Ein weiteres Problem ist die Fragmentierung des Legal Tech Marktes: Es gibt eine Fülle an Tools und Plattformen, die versprechen, Prozesse zu optimieren. Doch nicht jede Lösung passt zu jeder Kanzlei. Die Auswahl des richtigen Tools erfordert Zeit, technisches Verständnis und oft auch eine gewisse Experimentierfreude – Eigenschaften, die im stressigen Kanzleialltag oft zu kurz kommen.
Digitalisierung mit Mehrwert: Wo ansetzen?
Digitalisierung sollte nicht Selbstzweck sein, sondern konkrete Probleme lösen und Prozesse verbessern. Ein sinnvoller Ansatzpunkt ist die Automatisierung wiederkehrender Tätigkeiten. Beispiele hierfür sind die Dokumentenerstellung, das Fristenmanagement oder die Mandatsverwaltung. Durch den Einsatz von Legal Tech Tools wie Vertragsgeneratoren oder Fristenüberwachungssystemen können Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte wertvolle Zeit sparen und Fehlerquellen minimieren.
KI kann unterstützen, effizienter zu arbeiten.
Auch der Bereich der Recherche bietet enormes Potenzial: Künstliche Intelligenz (KI) kann dabei helfen, relevante Urteile oder Gesetzeskommentare schneller zu finden. Solche Technologien ermöglichen es, komplexe juristische Fragestellungen effizienter zu bearbeiten und Mandantinnen und Mandanten schneller fundierte Antworten zu liefern. Die großen Verlage arbeiten derzeit intensiv daran, ihre Recherchedatenbanken mit KI zu verbessern. Vieles funktioniert bereits sehr gut – man darf gespannt sein, wo die Reise noch hingeht.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Kommunikation. Digitale Plattformen ermöglichen es Kanzleien, mit ihren Mandantinnen und Mandanten effizienter zu kommunizieren – sei es durch sichere Client-Portale, in denen Dokumente ausgetauscht werden können, oder durch Videokonferenzen, die zeitaufwändige Anreisen ersetzen. Das Thema Datenschutz spielt dabei eine zentrale Rolle. Der ÖRAK hat gemeinsam mit mehreren Projektpartnern die Kommunikationsplattform context entwickelt, über die ein vertraulicher Dialog zwischen Rechtsanwälten und ihren Klienten unkompliziert möglich wird. Im
Gegensatz zum Schriftverkehr per E-Mail erfüllt context die hohen Anforderungen der DSGVO und des Berufsrechts in Bezug auf Datensicherheit und Vertraulichkeit.
FINcredible Anwalts-Service
Ein weiteres Best-Practice-Beispiel, wie Digitalisierung mit Mehrwert eingesetzt werden kann, ist das „FINcredible Anwalts-Service“, das in einer Kooperation mit FINcredible, einer Tochterfirma des KSV1870 über den ÖRAK-Mitgliederbereich bezogen werden kann.
Es bietet Ihnen die digitale und vollautomatische Zusammenstellung von Finanzinformationen für eine Vielzahl von Rechtsangelegenheiten auf Basis der Girokonten Ihrer Mandantinnen und Mandanten: von der Haushaltsrechnung über den Einkommensnachweis bis hin zur Arbeitgeberbestätigung. Mit einer maßgeschneiderten Lösung erhalten Sie Kontoanalysen von Mandanten schnell, sicher, zeit- und ortsunabhängig.
Das „FINcredible Anwalts-Service“ ist eines von vielen kleinen Helferlein, die die Arbeit in Ihrer Kanzlei ein Stück weit effizienter machen können.
Menschen und Mindset: Der Schlüssel zum Erfolg
Die beste Technologie nützt aber nichts, wenn die Menschen in der Kanzlei nicht bereit sind, sie anzunehmen. Hier kommt das Thema Mindset ins Spiel. Digitalisierung erfordert Offenheit gegenüber Veränderungen und die Bereitschaft, neue Arbeitsweisen auszuprobieren. Doch gerade in der Rechtsbranche ist diese Offenheit oft begrenzt – nicht selten aus der Sorge heraus, dass Technologie die eigene Expertise ersetzen könnte.
Es ist daher essenziell, alle Beteiligten frühzeitig in den Digitalisierungsprozess einzubinden. Schulungen und Workshops können helfen, Berührungsängste abzubauen und den Nutzen neuer Technologien greifbar zu machen. Wichtig ist auch eine klare Kommunikation: Digitalisierung bedeutet nicht, dass Menschen überflüssig werden – im Gegenteil. Sie ermöglicht es Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: ihre juristische Expertise und die persönliche Betreuung ihrer Mandantinnen und Mandanten.
Umsetzung: Mit Strategie vorgehen
Die Einführung von Legal Tech und KI-Tools sollte strategisch geplant werden. Ein erster Schritt ist eine Bestandsaufnahme: Welche Prozesse sind besonders zeitaufwändig? Wo gibt es wiederkehrende Aufgaben? Welche Probleme treten regelmäßig auf? Auf Basis dieser Analyse können passende Technologien ausgewählt werden.
Klein anfangen und groß denken.
Wichtig ist dabei, nicht alles auf einmal umstellen zu wollen. Es empfiehlt sich, mit einem Pilotprojekt zu starten – etwa der Einführung eines digitalen Fristenmanagements oder einer Dokumentenmanagement-Software. So können erste Erfahrungen gesammelt und mögliche Stolpersteine frühzeitig erkannt werden.
Auch die Zusammenarbeit mit externen Expertinnen und Experten kann hilfreich sein. IT-Dienstleister oder Legal Tech Beraterinnen und Berater bringen wertvolles Know-how mit und können Kanzleien bei der Auswahl und Implementierung der richtigen Lösungen unterstützen.
Datenschutz und Sicherheit: Keine Kompromisse
Ein zentraler Aspekt bei der Digitalisierung von Kanzleien ist der Datenschutz. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind gesetzlich dazu verpflichtet, die Vertraulichkeit der Mandatsbeziehung zu wahren. Daher müssen alle eingesetzten Technologien höchsten Sicherheitsstandards entsprechen.
Cloud-Lösungen dürfen beispielsweise nur dann genutzt werden, wenn sie den strengen Anforderungen der DSGVO genügen. Auch die standesrechtlichen Vorgaben in § 40 Abs 3 RL-BA 2015 müssen beachtet werden. Zudem ist es wichtig, regelmäßige Sicherheitsupdates durchzuführen und Mitarbeitende für Themen wie Phishing oder Passwortsicherheit zu sensibilisieren. Nur so kann gewährleistet werden, dass sensible Daten auch in der digitalen Welt geschützt bleiben.
Fazit: Chancen nutzen statt abwarten
Die Digitalisierung bietet enorme Chancen für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte – von effizienteren Prozessen über schnellere Ergebnisse bis hin zu einer besseren Betreuung der Mandantinnen und Mandanten. Doch damit diese Chancen genutzt werden können, braucht es mehr als nur die richtige Technologie. Es braucht ein Umdenken in den Köpfen, eine klare Strategie und den Mut, neue Wege zu gehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Digitalisierung mag zunächst wie ein Dschungel wirken – unübersichtlich und voller unbekannter Gefahren. Doch wer sich auf den Weg macht, wird schnell feststellen: Mit der richtigen Orientierung wird aus dem Dschungel ein fruchtbarer Boden für Innovation und Effizienz. Nutzen wir diese Chance! Setzen wir auf Technologien, die uns entlasten, ohne unsere Werte zu gefährden. Denn am Ende geht es nicht darum, Maschinen unsere Arbeit zu überlassen – sondern darum, bessere Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zu werden.
Über den Autor:
Dr. Armenak Utudjian ist Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK) und Partner bei GRAF ISOLA Rechtsanwälte GmbH. Er ist auf Privatstiftungsrecht, Immobilien- und Bauvertragsrecht sowie das ärztliche Kassenvertragswesen spezialisiert. Dabei liegt der Fokus seines Teams auf der Planung von Vermögensnachfolgen und der laufenden Betreuung von Privatstiftungen, einschließlich der
Anpassung an aktuelle rechtliche Entwicklungen.
Zusätzlich ist er Vizepräsident der Bundeskonferenz der Freien Berufe Österreichs und engagiert sich
aktiv in verschiedenen Stiftungsvorständen.
