VIAC goes digital: „Wollen hohen Anspruch an uns selbst erfüllen“

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von VIAC
Magazin: Legal Tech Times Nr.1 | 05/2021


Die Administration eines Schiedsfalls ist mit sehr vielen Dokumenten verbunden, die von vielen Verfahrensbeteiligten ausgetauscht und benützt werden. Zurzeit bedeutet das viele E-Mails mit teils sehr großen Anhängen. Dass so eine Handhabung nicht mehr zeitgerecht ist, hat sich auch die internationale Schiedsinstitution der Wirtschafts-kammer Österreich (VIAC) gedacht und deswegen eine Datenbank entwickelt und in weiterer Folge durch eine File-Sharing- Plattform ergänzt.

Im Interview mit Legal Tech Times erzählen Alice Fremuth-Wolf, Silvia Freisehner, Veronika Macha und Elisabeth Vanas-Metzler von den Herausforderungen dieses Prozesses und warum die Arbeit im Team das Projekt beflügelt hat.

Im März enthüllte die Schiedsinstitution VIAC ihr neues File-Sharing-Portal. Es war aber nicht das erste Mal, dass sich das VIAC in den Legal Tech Bereich wagte. Als Reaktion auf die noch sehr „traditionell“ gehaltenen Vorgänge in der Schiedsinstitution, die es vorsahen Fälle in Papierform in Hängern zu bearbeiten, habe das VIAC im Jahr 2017 in einem ersten Schritt begonnen, mit der kammerinternen IT-Abteilung eine eigene Datenbank für die interne Falladministration zu entwickeln.

„Der Vorteil der maßgeschneiderten Lösung ist, dass die Datenbank auch wirklich für unsere Bedürfnisse passt, aber der Weg bis zur Fertigstellung war sehr aufwändig“, erzählt VIAC Generalsekretärin Alice Fremuth- Wolf. Dennoch habe sich die Mühe gelohnt, denn damit konnte das Case Management so organisiert werden, dass auch mit dem Beginn der Pandemie die Mitarbeiter*innen von zu Hause aus auf die Fälle in der Datenbank zugreifen und die Administration der Fälle ohne Unterbrechung fortgesetzt werden konnte. Auch die Kund*innen hätten dadurch keine Nachteile im täglichen Ablauf gespürt.

Gefehlt habe dann noch eine File Sharing Plattform, die auch von Parteien und Schiedsrichter*innen genutzt werden kann. Hier kommt das neue Portal ins Spiel: Als „logischen“ nächsten Schritt habe man nämlich das Portal für File Sharing angeschafft. „Damit können in jedem Schiedsverfahren die Schiedsrichter* innen und die Parteien auf einer gesicherten Site für ihren Fall Dateien austauschen“, spricht Fremuth-Wolf die Vorteile an. Dieser Schritt sei zum einen wegen der Datensicherheit und zum anderen wegen der immer größeren Daten- Volumina notwendig gewesen, die das Senden und Empfangen von E-Mails mit großen Anhängen erschweren.

„Ready made“ heißt nicht fix und fertig

Die Entscheidungsfindung sowie die Budget-Freigabe sei durch die Pandemie im Eiltempo passiert. Geholfen habe auch, dass sich VIAC durch die eigene Datenbank bereits mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt hatte. Denn so habe man bereits über die Player am Markt sowie den Aufwand einer maßgeschneiderten Lösung Bescheid gewusst. Basierend auf diesem Wissen habe man sich dann entschieden, eine “fertige“ Lösung zu beziehen. Als Anbieter wurde nach dem Austausch mit anderen Schiedsinstitutionen dann schnell Thomson Reuters mit dem Produkt HighQ auserkoren. Für Thomson Reuters haben zudem die Verlässlichkeit des Unternehmens und die Datenverarbeitung in der EU gesprochen.

Der Prozess bis zur Unterschrift sei relativ schnell von sich gegangen: Ein Licence Agreement wurde unterzeichnet und im Austausch erhielt man die eine vorkonfigurierte Lösung. Aber der Begriff „ready made“ ist etwas trügerisch: „Wir hatten ein bisschen gehofft, dass eben schon alles fertig ist und wir nur mehr unser Logo einfügen müssen. Im Onboarding-Prozess haben wir jedoch rasch bemerkt, wie viele weitere Entscheidungen zu treffen sind, bis die Plattform unseren Bedürfnissen entspricht. Je mehr man sich damit beschäftigt hat, desto mehr wurde einem bewusst, was man noch alles bedenken muss“, hat Silvia Freisehner gelernt, die den Project Lead innehatte. So habe man mit sämtlichen Entscheidungen immer wieder sicherstellen müssen, dass gleichzeitig die Sicherheit und die Nutzer* innenfreundlichkeit gewährleistet sind.

Nach dem Onboarding mit Thomson Reuters folgten einige imaginäre Testfälle, in denen die VIAC Mitarbeiter*innen in die Rollen der involvierten Parteien in einem Schiedsfall schlüpften. Mit diesem Ansatz habe man dann versucht, sich in die Situation hineinzudenken und mögliche Probleme abzubilden. Ebenso habe man versucht, die Plattform immer wieder mit den Augen eines*r Erstnutzer*in zu sehen. Dabei hätten auch Feedback-Runden mit Mitarbeiter* innen und Präsidiumsmitgliedern geholfen. Vor allem der Input der praxisorientierten Präsidiumsmitglieder habe eine neue, sehr zielführende Perspektive aufgezeigt. „Es war ein relativ langer Prozess, bis wir alle sagen konnten, das ist jetzt nutzer*innenfreundlich und sicher, und wir fühlen uns wirklich wohl, wenn wir es anbieten“, resümiert Freisehner.

Drahtseilakt zwischen technisch und rechtlich Möglichem

Die unterschiedlichen Zugänge zum Projekt waren auch für Veronika Macha, die sich um die Nutzungsbedingungen und datenschutzrechtliche Fragen kümmerte, besonders interessant. Gerade in puncto datenschutzrechtlicher Themen habe es viele Überlegungen gebraucht, um sich möglichst gut abzusichern. Praktisch habe sich das Team von Frage zu Frage gearbeitet und überlegt, was technisch und was rechtlich möglich sei. Dazu habe man sich auch zusätzlich externe Hilfe geholt, um in dem für das Team neuen Bereich keine Fehler zu machen. „Ich fand diese Schnittstellen-Materie zwischen prozessualen und datenschutzrechtlichen Vorschriften spannend. Also wie man die bestehenden prozessualen Vorschriften ins 21. Jahrhundert holt und in dieser Online-Plattform abbilden kann, sodass es die gleiche Sicherheit bietet, als wenn ich eine Hardkopie tatsächlich in Händen halte“, zeigte Macha Begeisterung für die neue Herausforderung.

Die Vernetzung der unterschiedlichen Aspekte des Projekts hat ihre Kollegin Elisabeth Vanas-Metzler, die für die (rechtliche) Projekt-Koordination zuständig war, als besondere und spannende Herausforderung empfunden. Denn es mussten mehrere Ebenen verbunden werden: Die praktische Ebene der Plattformentwicklung, die rechtliche Ebene, die die Dokumente von Thomson Reuters und dem VIAC entwerfen und kompatibel machen musste, die Schiedsregeln, die zu diesem Zeitpunkt im Umbruch gewesen seien, sowie die tägliche Praxis der Falladministration.

So habe die Plattform zum einen zu den alten Schiedsregeln passen müssen, aber gleichzeitig berücksichtigen müssen, dass es bald neue Regeln gibt, an die man sich halten muss. Bei der Fall-Praxis wiederum gehe es darum, wie im täglichen Geschehen ein Fall wirklich gehandhabt wird. „Dieses Wechselspiel, dass eigentlich diese vier Ebenen jeweils in sich passen, aber auch alle verkreuzt zusammenpassen müssen, war eigentlich die größte Herausforderung für mich“, berichtet Vanas- Metzler, „Wir sind praktisch und rechtlich in Sphären geraten, die für uns neu waren“.

Überrascht habe sie, dass die Erwartungshaltung der verschiedenen Beteiligten an die Reichweite einer solchen Plattform doch recht unterschiedlich ist. Das Team sei sehr ambitioniert an das Projekt herangegangen. Es sei während der Entwicklung gleichzeitig wesentlich gewesen, mit potenziellen User*innen zu sprechen, um abschätzen zu können, welchen Anspruch sie an das Portal erheben und mit welchen technischen Funktionen sie sich wohlfühlen.

Dass am Projekt mehrere Personen beteiligt waren, sei hingegen keine allzu große Herausforderung gewesen, weil das Team so eingespielt sei. Fremuth-Wolf zufolge müsse man das abwiegen, wenn man in einem Team arbeitet und Rollen vergibt. Da komme es zwar zu Doppelgleisigkeiten und das Projekt dauere dadurch länger, aber die Beleuchtung aus mehreren Blickwinkeln mache das Ergebnis besser und ganzheitlicher. Positiv sei auch, dass im Team die Verantwortung aufgeteilt wurde und so nicht die Last auf nur einer Schulter gelegen habe.

Team als schlagendes Herz des Projektes

Das Team sei auch das schlagende Herz hinter dem Projekt und deren persönlicher Einsatz und „Dedication“ haben ermöglicht, dass das Projekt innerhalb von sechs Monaten gelauncht werden konnte. Zu beachten bleibt zusätzlich, dass die Entwicklungen neben der eigentlichen Arbeit stattgefunden habe. Dass das Team vom Projekt überzeugt ist, ist laut Fremuth- Wolf auch ein wichtiger Aspekt: „Wenn man nicht ganz überzeugt ist, wird dieses Mühsal der einzelnen Prozesse noch viel schwieriger. Wenn man aber sagt: Das wollen wir, der Weg dorthin ist steiniger als gedacht, aber das Ziel passt und das möchte man erreichen, ist es wesentlich einfacher.“

Da das Team in der Entwicklung so involviert war und auch eine kontinuierliche Einschulung stattfand, habe es gar keinen aufwändigen Onboarding-Prozess gegeben. Die neuen Fälle werden nun mit dem Portal gemanagt. Deshalb musste ein Benutzerhandbuch sowohl für die externen User*innen als auch für das interne Team verfasst werden, in dem die schwierige Balance zwischen Nutzer*innenfreundlichkeit und Detail gefunden werden musste.

Dieses Handbuch habe auch dazu beigetragen, dass das Projekt gesamtheitlich fertig werden konnte. Dazu zählen auch scheinbar kleine Aufgaben wie die Content-Erstellung für die Website. Deswegen habe sich das Team auch bewusst mehr Zeit gelassen, um alle weiteren Aspekte des Launchs fertigzustellen und rät deswegen auch anderen, bei so einem Projekt ausreichend Zeit und Ressourcen einzuplanen.

Notwendiger Schritt für zukünftige Entwicklungen

Denn das Ergebnis sei sehr gelungen und erleichtere die Arbeit sehr. Freisehner freut sich über das „sehr gute“ Feedback aus dem Team. So seien Frustrationen wegen zu großer E-Mail-Anhänge oder verlorener E-Mails zumindest zum Teil Geschichte. Außerdem werde dadurch sehr viel Zeit gespart.

Zusätzlich erleichtere eine Schnittstelle zur eigenen Datenbank laut Fremuth-Wolf die Arbeit. Denn die Archivierung und das Teilen der Dateien mit den Kolleg*innen werde so vereinfacht. Schwierig sei es allerdings zu wissen, wann das Produkt „fertig“ ist. „Die Kunst ist es zu sagen, jetzt ist Schluss. Wir haben jetzt alles beachtet und das ist das finale Produkt. Wohlwissend, dass man auch vielleicht in einem Jahr, wenn man das Portal benutzt hat, gewisse Anpassungen vornehmen muss“, bestätigt Fremuth-Wolf. So brauche es den Mut, zu sagen, dass das Beste erreicht wurde.

Alle im Team würden das Projekt auch noch einmal machen. Der Generalsekretärin zufolge sei im Projekt nämlich alles „super“ gelaufen. Zudem wolle man eine moderne Schiedsinstitution im 21. Jahrhundert sein und konkurrenzfähig bleiben. „Wir wollen die Services anbieten, die man auch mittlerweile erwartet und den hohen Anspruch, den wir an uns selbst haben, weiterhin erfüllen“, möchte Fremuth-Wolf nicht stillstehen. Macha sieht in dem Projekt eine notwendige Basis für weitere Entwicklungen.

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