Der Lock-In-Effekt

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In ihrem Gastkommentar in der Wiener Zeitung fragt sich Sophie Martinetz, ob es für Anwält*innen ein Gewinn ist, Legal Tech den Mandant*innen direkt anzubieten.

Ich weiß, es ist schon ein alter Hut, aber nach/aufgrund des Corona-Jahres machen sich viele Kanzleien und Rechtsabteilungen konkrete Gedanken, wie sie digitalisieren können. Daraus ergibt sich auch viel Diskussionspotenzial. Besonders anregend ist die Diskussion, ob sich eine Anwält*in durch Angebote von Leistungen via Legal Tech direkt beim Klienten Geschäft wegnimmt.

Gleich vorweg: Auch meiner Erfahrung nach nicht. Was gibt es allerdings zu beachten: Es liegt in den Händen der Anwält*innen, zu entscheiden, welche Leistungen direkt vom Mandanten digital abgerufen werden können. Dafür eignen sich vor allem Leistungen, die häufig vorkommen und nicht komplex sind. Wie etwa Standard-Arbeitsverträge, -Sponsoringverträge oder -Lizenzverträge. Wenn diese einmal juristisch durch die Anwältin aufbereitet sind, können sie in einem Legal-Tech-Tool direkt von der Mandantin individualisiert werden, und ein erster Entwurf kann erstellt werden.

Rückfragen in 20 Prozent der Fälle

Es gilt natürlich die 80:20 Regel von Pareto: In 80 Prozent der Fälle wird das genügen, und in 20 Prozent wird es Rückfragen geben, die dann in der Kanzlei, die das Tool zur Verfügung stellt, bearbeitet werden. Das ist auch die spezielle Arbeit, für die die Mandantin eine Kanzlei gerne bezahlt. Die Zurverfügungstellung eines solchen Legal-Tech-Tools hat den Vorteil, dass es erstens einen sogenannten Lock-In-Effekt gibt – das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mandant ein einmal installiertes und ausgerolltes Tool wechselt, ist sehr gering.

Zweitens: Niemand verlangt, dass diese Leistung kostenfrei ist. Wissen und Legal Tech haben ihren Preis. Also, überlegen Sie sich den Wert Ihrer Leistung für die Mandatin.

Drittens: Wenn das Tool eine gute Benutzeroberfläche hat, wird es auch genutzt werden und erhöht dadurch die Sicherheit, dass gewisse Qualitätsstandards eingehalten werden. Und die Mandantin oder auch die Kanzlei kann sich laufend einen Überblick über die Aktivitäten machen und Vorgänge leichter wieder finden. Vielleicht ist es auch interessant für Mandantinnen, strukturiert auszuwerten, ob die Verträge dem Marktstandards entsprechen, oder ob immer wieder dieselben Klauseln verhandelt und gestrichen werden. Dann könnten diese Teile angepasst werden.

Mandatin sucht die beste Beratung

Das kann man auch auf noch größere Themen umlegen. Macht es vielleicht Sinn, mit einer Klientin Datenschutz-Tools oder regulatorische Tools einzuführen? Hier kommt oft der Einwand, dass das Geschäft aus der Kanzlei wegnimmt. Aber Hand aufs Herz: Wollen Sie das Geschäft machen, das in einem Tool abgebildet werden kann? Bei der Einführung solcher Tools ist viel rechtliche Expertise gefragt. Dafür sucht eine Mandatin die beste Beratung. Die definierten Abläufe, die dann in einem Tool nachverfolgt werden, sind keine anwaltliche Kernaufgabe. Allerdings die Auswertung, die gemeinsame Risikoanalyse und die Risikomitigation wiederum schon.

Natürlich ist eine Anwältin keine IT-Unternehmerin, aber gerade mittelständische Unternehmen in Österreich brauchen immer mehr Legal Tech, um überhaupt die regulatorischen Anforderungen abbilden zu können. Und technische Fragen sind vom Toolanbieter abzudecken und nicht der Kanzlei.

Der Lock-In-Effekt bei solchen Systemen ist groß. Und auch hier gilt wieder das Paretoprinzip. Aber um bei diesen 20 Prozent, die rechtlichen Beistand benötigen, dabei zu sein, könnte der Einsatz von Legal Tech für Kanzleien durchaus interessant sein. Natürlich überlegen auch Mandanten sehr genau, welche Tools sie sich ins „Haus“ holen. Vielleicht ergeben sich ja mehr gemeinsame Ideen, wie Anwaltsleistungen künftig erbracht werden können. Gutes Gelingen.

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