JUSSUCCESS: Environment Social Governance

Lesezeit: 4 Minuten
mit Eva-Maria Ségur-Cabanac, Gerhard Marterbauer, Elisabeth Wu, Sophie Martinetz
Presse: Jussuccess 2023


Wie die Pflicht zum Nachhaltigkeitsreporting das Rechtwesen verändert

Nachhaltigkeit in der Wirtschaft wird immer wichtiger – nicht zuletzt aufgrund der schrittweisen Erweiterung von nicht-finanziellen Berichtspflichten für Unternehmen. Seit 2023 müssen große Firmen ein ESG-Reporting erstellen. Ab 2026 gilt dies dann auch für KMU. Über die Folgen von ESG-Berichtspflichten für das Rechtswesen haben wir mit einigen Expert*innen gesprochen.

ESG steht als Abkürzung für Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Aufsichtsstrukturen). Das ESG-Reporting wiederum ist eine durch die Europäische Union ins Leben gerufene Maßnahme. Durch den Einbezug nicht-finanzieller Faktoren in die Bewertung von Unternehmen soll sie den Einfluss von Betrieben auf Umwelt und Gesellschaft besser abbildbar machen. Ein wichtiges Ziel ist dabei, die Förderung nachhaltiger Unternehmen zu vereinfachen und damit auch das Erreichen der EU-Klimaziele zu beschleunigen.

Neue Aufgabenbereiche für Jurist*innen

Seit Anfang des Jahres sind große Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeiter*innen und über 40 Mio. Euro Umsatz ESG-berichtspflichtig. Das bedeutet, dass sie jährlich u.a. zu ihrem CO2-Fußabdruck, der Nachhaltigkeit von Lieferketten und Maßnahmen rund um Work-Life-Balance in ihrem Unternehmen berichten müssen. Dies verändert einiges, auch für Kanzleien und Rechtsabteilungen. „Spätestens seit diesem Jänner existiert bei vielen Unternehmen ein massiver Bedarf an Know-How Aufbau. Insbesondere durch die Verflechtungen auf europäischer und nationaler Ebene hat sich die Nachhaltigkeitsberichterstattung nämlich zu einer komplexen juristischen Materie entwickelt, welche den Beratungsbedarf auf Unternehmensseite stetig ansteigen lässt“, stellt Eva-Maria Ségur-Cabanac, Partnerin bei Baker McKenzie, fest. Für Jurist*innen eröffnet sich damit ein spannendes, neues Aufgabenfeld, das, so Ségur-Cabanac, aber nicht nur Interesse an der Thematik selbst fordert, sondern auch ein fundiertes Verständnis des Zusammenspiels von europäischen und nationalen Rechtsakten.

ESG-Performance als Qualitätsmerkmal

Für das Rechtswesen erweitert die graduelle Ausweitung der ESG-Berichtspflicht aber nicht nur das Aufgabenportfolio. Sie wird auch interne Strukturen von Organisationen verändern, in denen Jurist*innen tätig sind. „Die eigene ESG-Performance wird bei Beratungsunternehmen und Rechtsanwaltskanzleien zu einem immer stärker beachteten Qualitäts- und Unterscheidungsmerkmal. Je besser man in diesem Bereich aufgestellt ist, desto eher wird man als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen“, erläutert Gerhard Marterbauer, Sustainability Experte und Partner bei Deloitte Österreich. „Durch Transparenz und konsistente Weiterentwicklung, beispielsweise im Social- und Governance-bereich, können Unternehmen punkten und sich entsprechend positiv positionieren.“

Immer wichtiger auch für den Nachwuchs

Dass die Themen Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit insbesondere für den juristischen Nachwuchs immer wichtiger werden, bestätigt Elisabeth Wu, Vorsitzende der FV Jus an der Universität Wien: „Gerade durch die Klimastreikbewegung und die bessere Aufklärung in Bezug auf die Geschlechterungleichheiten im Beruf (z.B. Gender Pay Gap) werden Jus-Studierende immer sensibler für solche Themen.“ Zu erwarten ist somit, dass das ESG-Reporting zukünftig, nicht zuletzt wegen des Fachkräftemangels, zu einem bedeutenden Faktor in der Personalgewinnung werden wird.

Noch viel zu tun: Gender Diversity

Ein Thema, das vor diesem Hintergrund an Relevanz gewinnt, ist Gender Diversity. Dass hier insbesondere im österreichischen Rechtswesen Verbesserungsbedarf herrscht, ist kein Geheimnis. Medienberichten zufolge sind       nur durchschnittlich 13% der Partner*innen in Österreichs Anwaltskanzleien Frauen, obwohl 50% der Jusabsolvent*innen weiblich sind. „Strukturen in Anwaltskanzleien sind historisch männlich geprägt. Solange sich das nicht ändert, werden Frauen und Männer, die zeitgemäß arbeiten wollen und auch andere Dinge im Leben neben der Arbeit als wichtig in ihrem Leben erachten, aus dem Anwaltsberuf aussteigen,“ hebt auch Sophie Martinetz, Gründerin von Women in Law Austria, hervor. Sie sieht in den ESG-Reportingpflichten einen wichtigen Motor für Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit. Schließlich legen jene Berichte die Anteile von Frauen in Unternehmen, aber auch ihre Einbindung in Führungsstrukturen offen.

Vom Marketingmotto in die konkrete Umsetzung

Welche tatsächlichen Effekte die Ausweitung der ESG-Reportingpflicht auf die Aufgabenbereiche und unternehmensinternen Strukturen in Kanzleien und Rechtsabteilungen haben wird, bleibt abzuwarten. Fest steht allerdings, dass nur konkrete Handlungen Veränderungen hinsichtlich der ESG-Faktoren bewirken werden. „Was man tun sollte? Zuhören, Maßnahmen setzen und diese auch leben“, fasst Eva-Maria Ségur-Cabanac zusammen. Nur so kann sichergestellt werden, dass ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit auch im Rechtswesen nicht bloße Marketingmottos bleiben.

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