Bon Voyage: die TÜV AUSTRIA HOLDING AG auf Legal Tech Reisen

Lesezeit: 7 Minuten
mit Manuela Kohl | Head of Group Legal & Compliance
Magazin: Legal Tech Times 2022, Ausgabe Sommerspecial


Im Gespräch: Für unser Sommer-Special haben wir mit Vertreter:innen aus 8 Unternehmen über ihre Legal Tech Projekte gesprochen. Darunter Manuela Kohl, Head of Group Legal & Compliance der TÜV AUSTRIA HOLDING AG, die Ihre ungeschönten Erfahrungen mit uns geteilt hat!


Head of Group Legal & Compliance der TÜV AUSTRIA HOLDING AG


Liebe Frau Kohl, aus Ihrer umfangreichen Erfahrung mit Legal Tech Projekten – Wie entscheidet man, wo Digitalisierung ansetzen soll?

Man identifiziert die Pain Points! Und beim TÜV AUSTRIA bestanden die Probleme darin, Verträge und Dokumente zu suchen und aufzufinden. Noch zu analogen Zeiten sollten alle Verträge in unterzeichneter Fassung an die Rechtsabteilung übermittelt werden, die diese dann in Ordnern abgelegt hat. Die Suche nach Verträgen, deren Vertragspartner oder -inhalt unter Umständen nicht ganz klar war, wurde durch Digitalisierung und Volltextsuche auf das nächste Level gehoben.

Dennoch wurden die Verträge bis zur Covid-19-Pandemie noch handschriftlich signiert und sind in Unterschriften-Mappen durch das Haus oder in Kuverts durch Österreich gewandert. Auch hier war wieder die Suche nach den Papierverträgen das wesentliche Problem und ein Beweggrund, um den Prozess zu digitalisieren. Die Digitalisierung erzielte Transparenz, Zeitersparnis und Ortsunabhängigkeit des Signaturprozesses. Mit einem ausgeklügelten Berechtigungskonzept ermöglicht man auch den jederzeitigen Zugriff auf Verträge durch die berechtigten Stakeholder und erspart sich den Service durch Mitarbeiter:innen der Rechtsabteilung.

Durch die internationale Ausrollung unseres Vertrags- und Beteiligungsmanagements hat die Rechtsabteilung nun auch jederzeit Zugriff auf aktuelle gesellschaftsrechtliche Dokumente aller ausländischen Tochterunternehmen. Das war in der Vergangenheit ein weiterer Pain Point!

Wie identifizieren Sie dafür Probleme in Ihrem Unternehmen & analysieren Ihre Arbeit?

Im Zuge der Ausweitung des Home Office ab 2020 wurden die Unterschriften auf Dokumenten nicht nur in der Rechtabteilung, sondern unternehmensweit immer häufiger zum Problem. In der

TÜV AUSTRIA Group betrifft es die Unterzeichnung von Gutachten, Prüfberichten, Zertifikaten und in der Rechtsabteilung natürlich die Unterzeichnung von Beschlüssen, Verträgen etc.

In Zusammenarbeit mit dem Prozessmanager, der IT-Abteilung und den operativen Bereichen wurden die einzelnen Dokumentenarten eruiert, die Anforderungen an die Unterschrift und das entsprechende Signatur-Niveau erarbeitet, und die bereits vorhandenen Tools evaluiert. So wurde beispielsweise in manchen Bereichen mit gescannten Unterschriften gearbeitet, in anderen hingegen die qualifizierte elektronische Signatur eingesetzt.

Dazu wurden auch Gesetze und Verordnungen in den einzelnen Fachbereichen ausgewertet. Beispielsweise ist davon auszugehen, dass dieses Dokument nicht digital signiert werden kann, wenn ein Prüfbuch bei der zu prüfenden Anlage vor Ort „aufliegen“ muss.

In der Rechtsabteilung stellte sich zusätzlich die Frage, ob die zu unterzeichnenden Dokumente überwiegend von uns selbst generiert werden oder von Dritten kommen.

Nach der Definition der Anforderungskriterien und dem Vergleich der Signaturlösungen am Markt wurde eine Lösung ausgewählt, in unserem Tool implementiert und mit mehreren Anwender:innen getestet. Während in den operativen Bereichen meist nur eine Person ein Dokument unterzeichnet, wurde die Rechtsabteilung vor die Herausforderung gestellt, dass wir Dokumente nicht nur seriell, sondern auch parallel zeichnen lassen möchten und deshalb entsprechende Workflows benötigen.

Welche Kriterien haben Sie definiert, um ein passendes Legal Tech Tool auszusuchen? Gab es von der IT bestimmte Vorgaben?

Die grundlegende Entscheidung für das Tool basierte auf den angebotenen Features, die Möglichkeiten zum Customizing und die Verknüpfung mit bzw. Erweiterung durch weitere Tools des Anbieters. Letzteres ist nicht nur ein Wunsch der Rechtsabteilung, sondern auch der IT-Abteilung, um eine Fragmentierung der IT-Landschaft zu verhindern. Damit geht einher, dass es ein etablierter Anbieter sein muss, der mehrere Lösungen im Portfolio hat und dementsprechend schon länger am Markt existiert. Zu den in der engeren Auswahl stehenden Anbietern wurde auch ein Background-Check durchgeführt und auf Referenzkunden geachtet. Die mit Start-ups verbundenen Risiken werden in der TÜV AUSTRIA Group vermieden.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung für Vertrags- und Beteiligungsmanagement war die Anforderung noch explizit Non-cloud, dementsprechend wurde das Tool ausgewählt. Schnittstellen spielen überdies bei zugekauften Lösungen eine wesentliche Rolle. Sie müssen nicht nur ins Active Directory, sondern auch zu unserem ERP-System Zugriff haben, um die Prozesse miteinander zu verschränken und doppelte Arbeit zu vermeiden.

Wie sind/waren die Aufgaben für das Projekt verteilt?

Bei diesem Projekt haben wir sowohl ein internes Projektmanagement durch eine Legal-Operations-Mitarbeiterin sowie das Projektmanagement beim Lieferanten. Aufgrund der Erfolge mit dem letzten Projekt ist die Begleitung durch die Stabstelle Process Management & Optimization nur mehr lose. Dafür hat die gesamte Rechtsabteilung alle 14 Tage einen Jour Fixe mit dem Schwerpunkt auf Weiterentwicklung unseres Legal Tech Tools. 

Die Kommunikation über das Projekt erfolgt über die Leitung der Stabstelle in den Managementgremien sowie durch Newsletter an die User:innen. Da es sich um eine „Expertensoftware“ handelt, ist die Kommunikation im Unternehmen auf deren User:innen beschränkt.

Warum haben Sie sich schließlich für dieses Tool und nicht für ein anderes entschieden?

Wir haben uns 2015 verschiedene Tools von potenziellen Lieferanten vorstellen lassen. Wie bereits erwähnt, sollte es ein Tool werden, das Customizing, Verknüpfung mit weiteren Tools und Schnittstellen zu TÜV AUSTRIA-Systemen ermöglicht. In der neuesten Version liefert das Tool auch benutzerdefinierte Anwenderoberflächen, was durch die Ausrollung auf User:innen außerhalb der Rechtsabteilung an Wichtigkeit gewonnen hat.

Letztendlich spielten noch Mehrsprachigkeit und die Gestaltung der Lizenzkosten eine Rolle, da wir naturgemäß in der Rechtsabteilung heavy User:innen sind, aber auch kostengünstige Lizenzen für seltene User:innen brauchten.

Wie bereiten Sie sich nun auf die nächsten Schritte vor?

Aktuell rollen wir bereits unser fünftes Projekt aus. Bis dato haben wir Legal Tech-Projekte ohne eigene Projektmanagementsoftware durchgeführt und waren eingeladene Benutzer:innen in der Projektmanagementsoftware des Lieferanten. Für unser jetziges Projekt, bei dem wir auf der Basis von low code und no code sehr viel Eigenarbeit leisten, haben wir unser Projektmanagement durch Einsatz einer entsprechenden Applikation professionalisiert. 

Aus der Erfahrung im Bereich der Implementierung, Weiterentwicklung und Nutzung unserer Legal Tech Tools, haben wir mittlerweile zwei designierte Legal Operations Mitarbeiter:innen, weshalb die Aufgaben in der Rechtsabteilung umgeschichtet wurden. Aus der gewonnenen Expertise heraus setzen wir bei diesem Projekt mit Gerichtsverfahren, Markenverletzungen und Schadensbearbeitung sehr viel eigenständig um.

Abschließend: Was waren die größten Herausforderungen? Würden Sie etwas ändern, wenn Sie noch einmal starten könnten? Sonstige Learnings?

Die erste Implementierung im Jahr 2016 war vergleichsweise problemlos. Wir haben ein Tool von der Stange gekauft – ausschließlich für die Nutzung durch die Rechtsabteilung und mit wenig Customizing, trotz der eingeräumten Möglichkeiten. Im Laufe der Jahre haben sich die Anforderungen aus dem Arbeitsalltag und die Ansprüche erhöht. Also wurde eine Überarbeitung und damit einhergehend eine Ausweitung auf andere Bereiche wie Vertrieb, Einkauf und Marketing beschlossen sowie eine internationale Ausrollung vorgenommen. Dafür erhoben wir die Bedarfe der User:innen und involvierten diese frühzeitig als Testuser:innen.

Die Ausweitung der Anwendergruppe gestaltete sich angesichts unserer Matrixorganisation als ernstzunehmende Herausforderung. Vielzählige Kriterien wie Unternehmen, Geschäftsfeld, Organisationsbereich oder auch Vertragstyp und Vertragsklasse definieren die Berechtigungen der User:innen. So hat uns das Berechtigungskonzept während seiner Entwicklung viele schlaflose Nächte gekostet. Ein Jahr später sind wir doch stolz, dass sich das mit großem Aufwand entwickelte Berechtigungssystem bei beachtlichem Komplexitätsgrad bewährt hat – also offensichtlich sehr gut durchdacht war.

Die größte Herausforderung sollte dann allerdings die internationale Ausrollung auf IT-technisch unterschiedlich integrierte Unternehmen werden. Trotz frühzeitiger Einbindung der Group IT wurde das Ausmaß von niemandem erkannt.

Folgeprojekte haben zwischenzeitlich ihre Ansprüche niedriger angesetzt und sehen einen gestaffelten Ausrollungsplan über Jahre vor. Insofern war unsere größte Herausforderung auch unser größter Erfolg, weil uns die internationale Ausrollung letztendlich in einigen Monaten gelungen ist (statt wie geplant in einigen Wochen).

Wenn wir noch einmal starten könnten, würden wir definitiv den internationalen Scope enger ansetzen. Aber man wächst mit den Herausforderungen!

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