KI und Ethik in der Rechtsbranche – 10 Anregungen für verantwortungsvolle Kanzleien und Rechtsabteilungen
20. Oktober 2025
Künstliche Intelligenz ist hier: vom automatisierten Vertragsreview über die Due Diligence bis hin zu Rechtsrecherche, Litigation Analytics oder Mandantenkommunikation.
Doch je tiefer KI in juristische Prozesse eindringt, desto dringlicher wird die Frage: Wie lässt sich KI ethisch, rechtssicher und vertrauenswürdig implementieren?
Denn die Rechtsbranche trägt nicht nur fachliche, sondern gesellschaftliche Verantwortung – sie steht für Fairness, Transparenz und Rechtsstaatlichkeit. Wer KI einsetzt, ohne diese Prinzipien zu reflektieren, riskiert mehr als nur Reputationsschäden: Es geht um das Vertrauen in die gesamte juristische Profession.
1. Einen Code of AI Ethics entwickeln – und leben
Jede Kanzlei und Rechtsabteilung sollte einen verbindlichen Ethik-Kodex für KI definieren, der auf den eigenen Werten und dem Berufsrecht basiert.
Er muss Grundsätze wie Vertraulichkeit, Fairness, Nichtdiskriminierung, Mandantenschutz und Transparenz konkret auf KI-Anwendungen übertragen.
Ziel ist nicht nur Compliance, sondern ein ethischer Rahmen, der über gesetzliche Mindeststandards hinausgeht – insbesondere dort, wo KI Entscheidungen beeinflusst, die Menschen unmittelbar betreffen.
2. Verantwortung messbar machen
Ethik ohne Messbarkeit bleibt symbolisch.
Deshalb sollten Organisationen konkrete Indikatoren und Audits etablieren: Fairness-Metriken, Bias-Analysen, Risiko- und Impact-Assessments.
So lässt sich nachweisen, dass KI-Systeme nicht nur funktional, sondern auch ethisch korrekt arbeiten – ein entscheidender Faktor für Haftungsfragen und Mandantenvertrauen.
3. Technologische und regulatorische Entwicklungen aktiv verfolgen
Juristische Teams müssen am Puls der KI-Regulierung bleiben: vom europäischen AI Act über ISO-42001-Standards bis zu neuen Berufsrechtsempfehlungen.
Ein Governance-System sollte sicherstellen, dass ethische und rechtliche Risiken regelmäßig neu bewertet werden.
Denn das Tempo, mit dem sich KI verändert – etwa durch generative oder agentische Modelle – überfordert klassische Compliance-Modelle, wenn sie nicht kontinuierlich aktualisiert werden.
4. KI-Ethik in alle Rechts- und Transformationsprozesse einbetten
Ethik darf kein Add-on des IT-Teams sein.
Sie muss in alle Prozesse integriert werden – in Vertragsgestaltung, Datenverarbeitung, Wissensmanagement und Mandantenkommunikation.
Rechtsabteilungen sollten interdisziplinäre Gremien einrichten, die Recht, IT, Datenschutz, Sicherheit und Kommunikation zusammenführen.
So wird Ethik zum festen Bestandteil der juristischen Wertschöpfungskette – nicht zur nachgelagerten Kontrolle.
5. Ein operatives Modell für KI-Ethik etablieren
Kanzleien brauchen klare Strukturen:
Ein AI Ethics Operating Model definiert Zuständigkeiten, Eskalationswege und Verfahren, wenn ethische Dilemmata entstehen – etwa bei der Nutzung externer KI-Dienste oder sensibler Trainingsdaten.
Ein AI-Ethikbeirat oder eine interne „Ethics Champion“-Rolle kann helfen, diese Fragen strukturiert zu adressieren und Transparenz sicherzustellen.
6. Ethische und digitale Kompetenz fördern
Ethische Entscheidungen erfordern Verständnis.
Daher sollten Kanzleien und Rechtsabteilungen Ethik- und KI-Schulungen in ihre Fortbildungsprogramme integrieren.
Jurist*innen müssen lernen, Bias zu erkennen, die Grenzen automatisierter Tools zu beurteilen und die Qualität von Trainingsdaten kritisch zu hinterfragen.
KI-Kompetenz ist damit Teil der juristischen Berufsethik des 21. Jahrhunderts.
7. Standards und Zertifizierungen nutzen
Wer KI einsetzt, sollte sich an internationalen Normen wie ISO 42001 orientieren – dem Managementstandard für KI-Systeme.
Auch interne Zertifizierungen oder Ethik-Gütesiegel können die Qualität sichern und Mandanten ein klares Signal geben: Diese Kanzlei arbeitet nachprüfbar verantwortungsvoll mit KI.
Das stärkt nicht nur die Compliance, sondern auch die Marktposition.
8. Ethik als Reputations- und Geschäftsmodell begreifen
Vertrauen ist die Währung der Rechtsbranche.
Ethisch verantwortete KI wird zum Differenzierungsmerkmal – insbesondere in Ausschreibungen, Mandatsvergaben und Kooperationen mit Unternehmen.
Wer transparent kommuniziert, wie er KI einsetzt, schafft Glaubwürdigkeit.
Ethische Klarheit ist kein Bremsklotz, sondern ein strategischer Wettbewerbsvorteil.
9. Sichere Meldekanäle für ethische Risiken schaffen
Mitarbeitende müssen Bedenken zu KI-Systemen sicher äußern können – etwa zu Diskriminierungsrisiken, fehlerhaften Trainingsdaten oder unklaren Haftungsfragen.
Solche Kanäle sollten vertraulich, barrierefrei und juristisch abgesichert sein.
Ethische Integrität entsteht durch Offenheit, nicht durch Schweigen.
10. Ethik intern und extern sichtbar machen
Ethische KI muss nach außen gelebt werden – durch Berichte, Leitlinien, Veranstaltungen und die Zusammenarbeit mit Berufsverbänden, Universitäten oder Regulierungsbehörden.
Rechtsabteilungen und Kanzleien haben hier eine Vorbildfunktion: Sie gestalten den Rahmen für das Vertrauen in die digitale Justiz von morgen.
Von Governance zu gelebter Kultur
In der Rechtsbranche gilt dabei ein besonderer Maßstab: Jurist*innen arbeiten mit Menschenrechten, Verantwortung und Vertrauen.
Wer diese Werte in die digitale Zukunft überträgt, zeigt, dass Innovation und Integrität keine Gegensätze sind – sondern die zwei Seiten einer modernen, rechtsethischen Praxis.
Fazit
Ethische KI in Kanzleien und Rechtsabteilungen ist mehr als technische Compliance – sie ist Ausdruck juristischer Haltung.
Die zehn Schritte – von Prinzipien über Ausbildung bis Governance – bilden den Weg zu einer Rechtskultur, die digitale Innovation und menschliche Verantwortung vereint.
So entsteht ein neues Berufsverständnis: Juristinnen als Architektinnen einer fairen, transparenten und ethischen KI-Zukunft.
Als Grundlage des Beitrages für den Rechtsbereich diente der Capgemini Leitfaden A Practical Guide to Implementing AI Ethics Governance. Dieser bringt es auf den Punkt: Ethik ist kein statisches Regelwerk, sondern ein lebendiges System, das sich regelmäßig weiterentwickeln muss. KI-Ethik ist kein Projekt, sondern ein Prozess – sie wächst mit der Organisation und mit der Technologie.