Zwischen Vertrauen, Tempo und Technologie: Wie Legal Tech und KI die Beziehung zwischen Anwält:innen und Mandant:innen verändern

Lesezeit: 5 Minuten


Vom Projekt zur Praxis: Legal Tech im juristischen Alltag

Von Sophie Martinetz, Future-Law


Einschätzung

In Kanzleien, Rechtsabteilungen und Verwaltungseinheiten sind digitale Werkzeuge angekommen – aber oft noch fragmentarisch.
„Wir sind mittendrin“, sagt Sophie Martinetz, Gründerin von Future-Law. „Legal Tech ist kein Experiment mehr, aber auch noch kein Standard. Der echte Fortschritt passiert erst, wenn Technologie Teil der täglichen juristischen Arbeit wird – nicht bloß ein Zusatz.“

Die Digitalisierung der Rechtsbranche bedeutet deshalb weniger einen Technologiesprung als eine Kulturveränderung: weg vom reaktiven Arbeiten hin zu vorausschauender Beratung, gestützt durch Daten, Automatisierung und KI.

Effizienz als Balance – nicht als Selbstzweck

Effizienz ist eines der großen Versprechen digitaler Transformation. Doch Martinetz warnt vor einer Verkürzung:
„Effizienz ist mehr als Schnelligkeit. Es geht um Qualität, Nachvollziehbarkeit und Mandantenzufriedenheit.“

KI kann Routineaufgaben übernehmen – Recherchen, Dokumentenerstellung, Vertragsanalyse – und so Zeit für strategische und kreative Arbeit schaffen. Aber Technologie darf kein Ersatz für Denken werden. Effizienz entsteht dort, wo Prozesse klüger, transparenter und menschlicher gestaltet sind.

Echte digitale Effizienz bedeutet also: Technologie nutzt der Beziehung – nicht nur dem Workflow.

Das Ende des Stundenhonorars? Ein schleichender Wandel

Legal Tech bringt Transparenz in Kostenstrukturen – und zwingt Kanzleien, den Wert juristischer Arbeit neu zu denken.
Das klassische Stundenhonorar steht zunehmend unter Druck, vor allem in Bereichen, in denen Leistungen standardisiert oder automatisierbar sind.

Martinetz schätzt die Entwicklung differenziert ein:
„In komplexen Mandaten wird das Stundenhonorar wohl bleiben. Aber in anderen Feldern erwarten Mandant:innen nachvollziehbare Pauschalpreise oder erfolgsorientierte Modelle. Legal Tech macht sichtbar, was früher verborgen war – und das verändert die Gesprächsbasis.“

Der Trend geht hin zu Wert- statt Zeitorientierung – zu einer Rechtsberatung, die den Nutzen für den Mandanten in den Mittelpunkt stellt.

Transparenz als neue Form von Vertrauen

Die digitale Transformation verändert auch das Fundament juristischer Arbeit: das Vertrauen.
„Früher beruhte Vertrauen vor allem auf persönlicher Erfahrung und Reputation. Heute kommen Daten, Nachvollziehbarkeit und Kommunikation dazu“, so Martinetz.

Mandant:innen wollen wissen, wie Prozesse ablaufen, wie schnell reagiert wird, wie Ergebnisse entstehen. Das kann Vertrauen stärken – wenn Kanzleien bereit sind, sich zu öffnen.
Vertrauen ist damit nicht weniger, sondern anders geworden: transparenter, dialogischer, nachvollziehbarer.

Standardisierung schafft Freiraum – wenn sie richtig genutzt wird

Standardisierung wird oft als Bedrohung für Individualität gesehen. Doch sie kann auch die Basis für Qualität sein.
Wenn Routineprozesse klar strukturiert und digitalisiert sind, bleibt mehr Raum für das, was juristische Arbeit wirklich ausmacht: Denken, Interpretieren, Bewerten.

„Die Kunst liegt im richtigen Maß“, meint Martinetz. „Automatisierung soll unterstützen, nicht dominieren. Sie schafft Struktur – aber der Unterschied liegt weiter in der Haltung und im Verständnis für den Kontext.“

So verstanden, ist Standardisierung kein Widerspruch zur Individualität, sondern deren Voraussetzung.

Kleine Kanzleien: agil, mutig, im Vorteil

Für kleinere Kanzleien eröffnet Legal Tech echte Chancen.
Was früher nur großen Einheiten vorbehalten war – Automatisierung, Datenanalyse, digitale Zusammenarbeit – ist heute leistbar und leicht bedienbar.

„Oft ist die größte Hürde nicht das Geld, sondern das Mindset“, sagt Martinetz. „Wer offen bleibt und Neues ausprobiert, kann sich mit Legal Tech professionalisieren und skalieren.“
Gerade kleinere Teams können schnell testen, anpassen und lernen – ein struktureller Vorteil in einer Branche, die sonst oft auf Langsamkeit baut.

Geschwindigkeit und Qualität – ein neues Gleichgewicht

Mandant:innen erwarten zunehmend Schnelligkeit – Antworten in Minuten, nicht Tagen.
KI und Automatisierung machen das in vielen Fällen möglich. Doch Qualität bleibt das entscheidende Kriterium.
„Nicht jede Frage lässt sich beschleunigen“, betont Martinetz. „Manche Themen brauchen Nachdenken. Wichtig ist, offen zu kommunizieren, warum etwas Zeit braucht.“

Schnelligkeit wird so zum neuen Servicefaktor, nicht zum Ersatz für juristische Tiefe.

Beziehung bleibt – sie verändert sich nur

Trotz aller Automatisierung bleibt die persönliche Verbindung zwischen Anwält:innen und Mandant:innen zentral.
Im Gegenteil: Sie gewinnt an Bedeutung, weil sie bewusster gepflegt wird.
Wenn Routineprozesse digital ablaufen, wird Raum frei für das, was KI nicht leisten kann – Zuhören, Einfühlen, Führen.

„Die menschliche Komponente verschwindet nicht“, so Martinetz, „sie wird gezielter eingesetzt – und dadurch wertvoller.“

Kooperation statt Konkurrenz: Die Zukunft ist vernetzt

Die juristische Landschaft entwickelt sich hin zu Ökosystemen: Plattformen, Partnerschaften, hybride Modelle.
Kanzleien, Legal-Tech-Anbieter und Unternehmen rücken näher zusammen, um Mandant:innen ganzheitliche Lösungen zu bieten.

„Ich sehe da viel Potenzial für neue Formen der Zusammenarbeit“, sagt Martinetz. „Mandant:innen wollen keine Einzelbausteine, sondern durchdachte, integrierte Lösungen.“
Damit verschiebt sich der Wettbewerb – von Einzelkanzleien hin zu Netzwerken, die gemeinsam Wert schaffen.

Fazit: Evolution statt Revolution

Legal Tech ersetzt keine Jurist:innen – sie verändert, wie sie arbeiten.
Der Wandel ist weniger technischer als kultureller Natur. Er fordert Offenheit, Neugier und Mut, die eigene Rolle neu zu definieren.

„Ich sehe darin keine Bedrohung, sondern eine Evolution“, fasst Martinetz zusammen. „Legal Tech hilft uns, juristische Arbeit präziser, transparenter und menschlicher zu gestalten – wenn wir bereit sind, sie klug einzusetzen.“

Die Zukunft der Rechtsberatung ist damit weder rein digital noch rein analog – sondern hybrid, reflektiert und mandantenorientiert.

Sophie Martinetz, Managing Partnerin Future-Law, begleitet seit mehr als 10 Jahren Rechtsabteilungen bei ihrer digitalen Reise

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