Automatisierung der Mandantenakquise durch Legal Tech – eine Innovation in der Anwaltskanzlei?
9. Juli 2024
Ein Erfahrungsbericht von Robert Górnikowski,
Die moderne Rechtspraxis von heute verlangt nach einer tiefgreifenden Integration technologischer Fortschritte, weit über den Rahmen eines bloßen Trends hinaus. Als Student des Wirtschaftsrechts und Teilnehmer des Fachseminars am WU Legal Tech Center befand ich mich an der Schnittstelle zwischen Tradition und Innovation. Im Rahmen des Fachseminars hatten die Teilnehmenden die Gelegenheit, mittels einer sogenannten „No-Code“-Plattform ihr eigenes Legal Tech Tool zu entwickeln, ohne dass dafür Programmierkenntnisse erforderlich waren.
Mein Ziel war es, die Arbeitsweise juristischer Dienstleistungen zu modernisieren. Vor diesem Hintergrund entstand mein Legal Tech Tool – eine Lösung, die die Mandantenakquise für Anwaltskanzleien effizient gestalten soll. Es ermöglicht eine nahtlose Erstinteraktion zwischen Anwaltskanzleien und potenziellen Mandanten sowie eine Kontaktmöglichkeit für bestehende Mandanten.
Der Entwicklungsprozess des Tools bestand aus der Zusammenstellung von Bausteinen innerhalb eines Entscheidungsbaums (siehe Abb 1). Die beiden primären Bausteintypen sind Front-End und Back-End Bausteine. Front-End Bausteine sind entscheidend für die Gestaltung der Benutzeroberfläche (UI), während Back-End-Bausteine die zugrunde liegenden Prozesse ermöglichen, die für den Benutzer nicht unmittelbar sichtbar sind, da sie im Hintergrund ablaufen.
Zunächst erfasst das System, ob es sich bei dem Nutzer um einen potenziellen oder bestehenden Mandanten handelt. Bestehende Mandanten werden zu einem integrierten Nachrichtentool weitergeleitet, über das sie ihre Nachricht und gegebenenfalls Anhänge auf einen sicheren elektronischen Kommunikationsweg an die Kanzlei senden können. Potenzielle Mandanten werden dagegen auf einen eigenen Pfad geleitet, der eine detaillierte Datenerfassung durch eine Sachverhaltsabfrage, eine Abfrage der Rechtsschutzversicherung und ein Feld zum Hochladen von Beweismitteln enthält.
Innovationsschub: Automatisierung des Onboarding-Prozesses von Mandanten
Im Herzstück dieses Tools steht die Integration von KI, repräsentiert durch den Einsatz von Chat-GPT in der Version 3.5. Das Sprachmodell analysiert den angegebenen Sachverhalt mit bemerkenswerter Präzision und erkennt die Problematik aus einem breiten Spektrum von Rechtsgebieten durch den Einsatz hochentwickelter Algorithmen. Vom Zivilrecht bis zum Datenschutzrecht navigiert das Tool gekonnt durch das komplexe Geflecht juristischer Diskurse.
Das Ausgangsprompt ist in dem beigefügten Screenshot ersichtlich (Abb 2). Die Antwort von Chat-GPT soll lediglich aus einem Wort bestehen, nämlich dem betreffenden Rechtsbereich. Dahinter steht die Idee, dass das Tool in der Lage sein soll, jedes dieser Worte aus der im Prompt definierten Liste der Rechtsgebiete zu erkennen und den entsprechenden Pfad für das jeweilige Rechtsgebiet zu initiieren.
Durch die Weiterleitung des Mandanten auf den richtigen Pfad gewährleistet das Legal Tech Tool eine schnelle und präzise Zuordnung zu spezialisierten Anwälten. Dadurch werden Arbeitsabläufe optimiert und die Kundenzufriedenheit gesteigert, da der Zugang zu juristischen Fachkräften beschleunigt und an das digitale Zeitalter angepasst wird.
Betrifft die Antwort von Chat-GPT jedoch ein Rechtsgebiet, das dem Tool nicht bekannt ist und daher von der Kanzlei voraussichtlich nicht bearbeitet wird, wird der Mandant auf einen allgemein formulierten Pfad weitergeleitet, ohne Bezug auf bestimmte Anwälte oder Rechtsgebiete zu nehmen.
Das geeignete “Prompting”, also die präzise Formulierung der Aufgabenstellung für die KI, erwies sich als Herausforderung.
Es bedurfte einer fein abgestimmten Balance: Einerseits sollte der Prompt die Aufgaben klar und eindeutig definieren, andererseits galt es, die Kostenoptimierung im Auge zu behalten. OpenAI, als Betreiber von Chat-GPT, berechnet die Nutzung anhand von Tokens, dh kurzen Wortteilen. Daher war es wichtig, dass der Prompt nicht zu lang war, um das Budget der Kanzlei nicht wesentlich zu belasten. Die Anzahl der Tokens, die für einen Prompt verbraucht werden, kann mit dem OpenAI Tokenizer ermittelt werden, wie am Beispiel meines Prompts ersichtlich ist.
Durch die Multiplikation der Anzahl der verwendeten Tokens mit dem Stückpreis, der von der spezifischen Konfiguration von Chat-GPT abhängt, kann der Preis für einen Ausgangsprompt genau bestimmt werden, wobei der vom Kunden verfasste Teil vor der eigentlichen Anfrage nur geschätzt werden kann. In meinem Anwendungsfall mit kurzen bis mittellangen Sachverhaltsschilderungen der Mandanten liegt dieser bei etwa 0,37 USD pro 100 Anfragen. Um unangenehme Überraschungen auf der Rechnung vom Betreiber zu vermeiden, etwa bei übermotivierten Storytellern, Systemfehlern oder Hacker-Attacken, empfiehlt es sich, die Anzahl der Zeichen im Eingabefeld für den Sachverhalt zu begrenzen.
Eine wichtige Einstellung der KI ist die sogenannte ‚Temperatur‘ des Sprachmodells.
Diese Kennzahl beeinflusst die kreative Ausprägung von Chat-GPT. Generell gilt: Je höher die Temperatur, desto stärker manifestiert sich die Kreativität des Modells. Es ist jedoch zu beachten, dass mit steigender Kreativität auch das Risiko sinnloser oder, schlimmer noch, sinnvoll klingender, aber falscher Antworten steigt. Auf der anderen Seite führt eine niedrige Temperatur dazu, dass die KI sehr vorsichtig agiert, was ebenfalls unerwünscht sein kann. Aus diesem Grund habe ich die Temperatur auf einer Skala von 0 bis 2 auf einen Wert von 0,3 eingestellt. Dies stellt eine dezente Einstellung dar, die für meine Aufgabenstellung ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Kreativität und hoher Genauigkeit gewährleistet.
Der weitere Prozess in dem Entscheidungsbaum besteht darin, dass eine E-Mail an den Mandanten gesendet wird, in der der konkrete Anwalt benannt wird, der sich des Falles annimmt. Beispielweise: „Gerne wird Herr Rechtsanwalt Thomas Datenschützer prüfen, ob wir Ihren Fall übernehmen können. Er wird sich umgehend mit Ihnen in Verbindung setzen.“ Dies dient dazu, in dem digitalen Umfeld eine persönliche Verbindung herzustellen. Gleichzeitig wird eine E-Mail an den RA mit allen Angaben und eventuellen Beweismitteln im Anhang verschickt. Anschließend wird der Mandant zum letzten Schritt des Entscheidungsbaums weitergeleitet, nämlich zur Dankesseite und den weiteren relevanten Informationen.
Förderung der Anwaltschaft: Maßgeschneiderte Lösungen für optimale Abläufe
Ein Paradebeispiel für die vielseitige Anwendbarkeit des Legal Tech Tools sind die Ambitionen des hypothetischen Datenschutzteams einer fiktiven Anwaltskanzlei, für das der Prototyp des Tools entwickelt wurde. Diese Ambitionen zielen darauf ab, dass das Sprachmodell des Tools darauf spezialisiert ist, die relevanten Aspekte der vom Datenschutzteam zugewiesenen Fälle prägnant zusammenzufassen und dabei die Kernproblematik jedes Falles klar herauszuarbeiten. In einem weiteren Schritt bietet es konkrete Handlungsempfehlungen unter genauer Angabe der relevanten Rechtsgrundlagen. All diese Aufgaben werden von der KI zuverlässig erfüllt.
Wir stehen am Beginn einer neuen Ära der Rechtspraxis, in der die Konvergenz von Technologie und Recht beispiellose Möglichkeiten für Innovation und Fortschritt bietet. Dieses Legal Tech Tool verbindet Spitzentechnologie mit der anwaltlichen Praxis und beweist damit die transformative Kraft der KI in der Anwaltschaft.
Abschließend lässt sich festhalten, dass das Legal Tech Tool nicht nur eine akademische Seminararbeit ist, sondern einen Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie Rechtsdienstleistungen in der Zukunft erbracht und zugänglich gemacht werden, verkörpern kann. Mit konsequentem Engagement für Innovation könnte die österreichische Anwaltschaft in eine Zukunft gehen, in der Technologie und Recht verschmelzen und eine neue Ära der Rechtspraxis einläuten – eine Ära, die sich durch Effizienz, Zugänglichkeit und beispiellosem Kundenservice auszeichnet.
Autoren-Info:
Robert Górnikowski, LL.B. (WU)
Student des Wirtschaftsrechts an der Wirtschaftsuniversität Wien und juristischer Mitarbeiter in der Abteilung Legal Services & GDPR in der Raiffeisen Digital Bank AG